
Glück gehabt!
Alfred Pfoser in FALTER 42/2025 vom 15.10.2025 (S. 35)
György Dalos, der ungarische Schriftsteller und Historiker, der jetzt in Berlin lebt, kennt Österreich bestens. Er hat etliche Jahre in Wien zugebracht und ist mit der hiesigen Autorenszene bestens vernetzt. Es ist also nicht ganz überraschend, dass er, nachdem er historische Bücher über Mitteleuropa und Ungarn veröffentlicht hat, jetzt auch eine Geschichte Österreichs nach 1945 vorlegt.
Was Dalos serviert, ist in vielerlei Hinsicht keine übliche Monografie. Schon formal nicht, weil er gekonnt auf dem feuilletonistischen Klavier spielt, immer wieder überraschende Details einbringt, spektakuläre Kriminalfälle (Franz Fuchs, Udo Proksch, Natascha Kampusch) als Zeitgeschichte begreift und Biografien mit ihren Pikanterien liebt. So unterhält er die Leserschaft mit etwas schrägen Offenbarungen großer Politiker: Der sowjetische Staatschef Nikita Chruschtschow etwa habe dem österreichischen Bundeskanzler Julius Raab bei einem Essen enthüllt, er sitze gerade zum ersten Mal in seinem Leben „mit einem Kapitalisten zusammen“. Autobiografisches darf ebenso nicht fehlen. Als Dalos im September 1964 erstmals mit einem Touristenvisum in Österreich einreiste, interessierte den damaligen Jungkommunisten vor allem der James Bond-Film „Liebesgrüße aus Moskau“.
Wir durcheilen im Schnelldurchgang die österreichische Politikgeschichte nach 1945. Dalos behandelt die schwierige Bildung der Regierung Karl Renner, den „Kommunistenputsch“ 1950, die Spielregeln der Sozialpartnerschaft, die Regierung Bruno Kreisky, die Waldheim-Affäre: All das sind Pflichtnummern in einem kursorischen Überblick. Genauso wie die Verhinderung des Atomkraftwerks Zwentendorf oder der Beitritt zur Europäischen Union. Der Aufstieg der FPÖ unter Jörg Haider bis zur Ibiza-Affäre Heinz-Christian Straches und ihren Folgen bilden den Abschluss.
Eine tiefer schürfende Sozial- und Wirtschaftsgeschichte fehlt, für die Kulturszene hat Dalos nur Blitzlichter übrig. Größere Aufmerksamkeit bekommt etwa die skandalumwobene Aufführung von Thomas Bernhards „Heldenplatz“ im Burgtheater.
Mehr als die österreichischen Interna interessiert Dalos die vergleichende Einordnung des österreichischen Treibens in die Geschichte Mitteleuropas. Auch in Ungarn und in der Tschechoslowakei gab es 1945 freie Wahlen, aber Stalin hatte von Beginn an für Österreich eine andere Rolle vorgesehen: Er betrieb die Wiederherstellung der österreichischen Souveränität mit mehr Eifer als die westlichen Alliierten, die nicht so recht wussten, was sie mit Österreich anfangen sollten. In der „Moskauer Deklaration“ (1943), die Österreich „als erstes freies Land, das der Angriffspolitik von Hitler zum Opfer fiel“, definiert, sollte das Gebilde zwischen Bodensee und Neusiedler See ein Pufferstaat zwischen Ost und West werden, wo auf dem Spielfeld des Kalten Krieges Konfrontation und Entspannung geübt werden konnten. So kam es zum Abzug der Besatzungstruppen, zur spektakulären internationalen Mittlerrolle und dank Marshall-Hilfe zum Wirtschaftswunder. Österreich hatte mit der Kombination von „Neutralität und Kaiserschmarrn“ Glück.
Mit viel Liebe zum Detail widmet sich das Buch ausgiebig der Ost-West-Dynamik rund um den spektakulären Zusammenbruch des kommunistischen Blocks im Jahr 1989. Wir erfahren eine ganze Menge darüber, wie sich die Beziehungen zwischen Österreich und den östlichen Nachbarstaaten entwickelten, wie die Migrationsbewegung aus Rumänien, Polen oder nach dem zerfallenden Jugoslawien in Österreich nicht nur die Politik durcheinanderwirbelte und wie die Osterweiterung die weltpolitische Bedeutung Österreichs zerbröseln ließ.
Vieles ist bekannt. Unterhaltsam und lehrreich ist diese Zusammenfassung allemal.