

Machtgier und Mord von Macchiavelli bis heute
Tessa Szyszkowitz in FALTER 38/2025 vom 17.09.2025 (S. 19)
Westwing", "House of Cards" und "Veep -Die Vizepräsidentin" sind Fernsehserien, die hinter die Kulissen der politischen Macht blicken. In "Westwing" ging es noch um den Kampf um die Moral, bei "House of Cards" war Politik zum korrupten Machtspiel verkommen. "Veep" war eine Komödie über die Zufälle des politischen Lebens. Der schweizerisch-italienische Autor Giuliano da Empoli beschreibt in "Die Stunde der Raubtiere", wie er als Spindoktor des italienischen Premiers Matteo Renzi Vergleiche mit diesen Fernsehserien anstellte, um sich am Ende langer Tage zu entspannen: "Die meisten Tage waren 80 Prozent Veep."
Die Zeiten haben sich geändert. Heute vergeht kaum ein Tag, an dem das Publikum nicht denkt, dass es gerade "House of Cards" in Dauerschleife sieht. Zumindest wenn es um Washington, D.C. geht. Die Moral ist längst aus dem Fenster gekippt worden, zusammen mit dem ernsthaften Versuch, die Probleme von Gesellschaften zu lösen. Es geht nur noch um Posieren und Profit, Macht und - wie der Anschlag auf Charlie Kirk zeigte - Mord.
Giuliano da Empoli ist längst nicht mehr Renzis Berater, er schrieb 2022 einen Bestseller, der in Frankreich wie ein Blitz einschlug, 850.000-mal verkauft und in 32 Sprachen übersetzt wurde. "Der Magier im Kreml", eine fiktionalisierte Studie der medial manipulierten Politik am Beispiel von Putins ehemaligem, sagenumwobenem Spindoktor Wladislaw Surkow, wurde flugs verfilmt und feierte gerade mit Jude Law als Wladimir Putin beim Filmfestival in Venedig Premiere.
Da Empoli ist heute Professor für vergleichende Politikwissenschaft an der renommierten Universität Sciences Po in Paris. In seinem Essay "Die Stunde der Raubtiere. Macht und Gewalt der neuen Fürsten" schildert er die Welt der Autokraten und nicht gewählten Technologie-Magnaten, die er aus der Nähe kennengelernt hat. Von der UN-Generalversammlung 2024, zu der er mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron angereist ist, ins Weiße Haus zu Donald Trump und seinen Tech-Bros -noch weiß man nicht, welche Allianzen am brüchigsten sind.
Eine Reise führt nach Riad zum saudischen Kronprinzen Mohammad Ben Salman, kurz MBS. "Sein Lächeln ist von entwaffnender Sanftheit", schreibt da Empoli, dahinter aber lauere ein berechnender Geist. 2017 entmachtet Mohammed Ben Salman kaltblütig alle Konkurrenten, stürzt die Gerontokratie und lässt den kritischen Journalisten Jamal Kashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul in Stücke schneiden. MBS, so der Autor, ist "eine Figur, die unmittelbar Niccolò Machiavellis Werk entstiegen ist". Dessen "Fürst" ist "nicht der ideale Herrscher, sondern ein echtes Machttier. Macchiavellis Buch sei das "Handbuch für Umstürzler, für Abenteurer, die sich aufmachen, den Staat zu erobern".
Vorzuwerfen ist diesem schlanken Band, dass Giuliano da Empoli seine Reisen zwar amüsant und analytisch erzählt -aber die Sache bleibt ein wenig sprunghaft in Zeit und Raum. Wobei der Autor die Rückblicke zu Macchiavellis Italien voller Farbe zu beschreiben versteht. Cesare Borgia und sein Clan hatten Macchiavelli zu "Der Fürst" angeregt: "Exzentrische Persönlichkeiten, die Regeln brechen mussten, um sich einen Platz zu erobern." Der Vergleich zu den neuen Tech-Eliten und deren Lust am totalen Chaos drängt sich auf.
Ein halbes Jahrtausend später untergraben die Autokraten die Pfeiler der Demokratie. "Es war einmal eine Zeit, in der die politische Innovation aus dem Zentrum kam", schreibt der Autor. In Washington besuchte Giuliano da Empoli vor 20,30 Jahren fensterlose Säle in Thinktanks. Von dort aus ging die Politik in die ganze Welt.
Das ist jetzt anders: "In der 'Stunde der Raubtiere' sind es nicht mehr die Machthaber der früheren Peripherie, die den unseren nacheifern, vielmehr sind es die westlichen Machthaber, die andernorts entsprungene Züge annehmen."