

Therapiesitzungen mit einem Narzissten: Ist das Patriarchat noch zu retten?
Felice Gallé in FALTER 12/2025 vom 19.03.2025 (S. 27)
„Ein Gender-Pay-Gap von 18 Prozent lässt sich nun einmal nicht mit Achtsamkeitsübungen wegatmen“, stellt Katharina Linnepe im Vorwort ihres ersten Buches klar. Die deutsche Autorin hat Soziologie, Politikwissenschaft und Philosophie studiert und eine Coachingausbildung absolviert. Nun lädt sie zur „feministischen Bastelstunde“, in der wir das Patriarchat zerlegen und ein neues Gesellschaftssystem modellieren dürfen.
Linnepe will inspirieren, nicht nur als Autorin, sondern auch als Moderatorin, Podcasterin und auf der Showbühne. Was die Frau für viele Fälle nicht ist: Psychotherapeutin. Ursprünglich therapierte sie das Patriarchat als Comedienne mit Rollkragenpulli, Hornbrille und Bernsteinkette auf Instagram. Die Kurzvideos brachten ihr neben Likes auch den Vertrag für ihr Buchdebüt. Es darf also gelacht werden, obwohl einem das Lachen beim Lesen immer wieder im Hals stecken bleibt. Psychologisches Halbwissen ist laut Autorin ausdrücklich willkommen. Ihre „professionelle Empathie“ hat Grenzen, denn das Patriarchat ist ein schwieriger Klient. In 10.000 Jahren kommt schließlich einiges zusammen.
Unser krankes und krank machendes Gesellschaftssystem zur Therapie zu schicken erweist sich aus mehreren Gründen als eine gute Idee: Es sei eine Lüge des laut Linnepe manipulativen, an Machiavelli geschulten Patriarchats, dass wir allein unseres Glückes Schmiedin sind und jeder Misserfolg auf persönlichem Versagen gründet. „Die Probleme des Patriarchats sind nicht unsere Privatprobleme.“
Zumal viele Frauen ohnehin ständig an sich arbeiten – Stichwort Selbstoptimierung. Die eine Erfindung des Patriarchats und seiner Kinder Kapitalismus und Neoliberalismus sei, wie die Autorin anmerkt. Die Frage, wer hier „den Knacks hat“, ist schnell gelöst. Das Patriarchat selbst muss auf die Couch! Die Therapiesitzungen mit ihm bieten reichlich Stoff für Witze. Und diese wissen Linnepe-Fans zu schätzen. Rund 20.000 Follower hat die Wahlberlinerin auf Instagram.
Nicht zuletzt der „achtsame Wimpernaufschlag“ der Comedy-Therapeutin machte Linnepes fiktive Therapiesitzungen zu einem Social-Media-Hit. Raffiniert lässt sie in den Videos nur durch ihre eigenen Reaktionen das Bild ihres „problematischsten Patienten“ im Kopf des Publikums entstehen. In knackigen 30 bis 60 Sekunden beschwört sie so einen narzisstischen Macho als Gegenüber herauf.
Die Komik des speziellen Settings funktioniert in gedruckter Form nicht ganz so gut. Die Autorin nutzt das Medium Buch aber, um Fachbegriffe aus unterschiedlichen Disziplinen verständlich zu erklären (unter anderem „Co-Abhängigkeit“), und macht Entwicklungen deutlich (etwa wie Rollenstereotype unser Selbstbewusstsein durchlöchern, bis wir zu co-abhängigen Patriarchatskomplizinnen und -komplizen werden). Dass Linnepe Satire und Wissen, Bonmots und Informationen gemeinsam serviert, macht ihre kritische Analyse bekömmlich und gehaltvoll zugleich.
Als sich das alte Gesellschaftssystem nach mehreren Sitzungen und einer Familienaufstellung als therapieresistent erweist, beschwört Katharina Linnepe im letzten Kapitel Kreativität statt Resignation. Sie fordert Verbindendes, wo das Patriarchat spaltet, und ruft dazu auf, Goethes Erlkönig zu verlernen: Schluss mit „Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt“! Mit Hannah Arendt schlägt sie vor, Macht stattdessen als das Gegenteil von Gewalt zu verstehen. Denn Macht im Sinne von Ermächtigung durch andere sei nur in einer Gruppe möglich, nur miteinander, niemals gegeneinander. Den Lesenden verschreibt sie Medizin: Fantasie, für die Vision einer Zeit nach dem Patriarchat. „Wir-Ermächtigung“ für gesunde Seelen, die nicht mehr von Rollenerwartungen und Konkurrenzdruck klein und müde gemacht werden. Und Empathie als „Währung der Zukunft“.