

Jill Biden als überzeugteste Leugnerin von Joes Verfall
Tessa Szyszkowitz in FALTER 22/2025 vom 30.05.2025 (S. 18)
Ari Emanuel war bei weitem nicht der einzige, dem Joe Bidens physischer und geistiger Verfall auffiel, aber er war einer der ganz wenigen, der seine Bedenken über eine neuerliche Kandidatur laut aussprach.
"Joe Biden darf nicht noch einmal antreten! Er kann nicht gewinnen!", rief der Chef der Künstleragentur Endeavor bei einer Klausurtagung für Unterstützer der Demokratischen Partei im September 2023 aus: "Wie sieht Plan B aus?" Bidens Stabschef Ron Klain gab kühl zurück: "Es gibt keinen Plan B."
Und so nahm das Unglück seinen Lauf. "Hybris" heißt das Aufdeckerbuch, in dem zwei US-amerikanische Journalisten - CNNs Jake Tapper und Alex Thompson von der US-Nachrichtenwebseite Axios - die ganze Misere noch einmal mit vielen Interviews aufrollen. Leider zumeist anonym und auf 400 Seiten fast schon zu detailliert: wie Joe Biden sich weigerte, auf eine zweite Präsidentschaftskandidatur zu verzichten. Und wie sein Umfeld ihn abschirmte, um der Welt den schlimmen Zustand des heute 82-jährigen Politikers zu verheimlichen.
"Original Sin" -"Ursünde" - heißt das Buch im englischen Original. Neu ist es ja nicht, dass Joe Bidens Gesundheitszustand verheimlicht wurde, um ihn zu schützen. Und um Amerika vor Donald Trump zu bewahren. Bekannt ist auch, dass all das schiefging. Weil Joe Biden erst nach dem verunglückten Fernsehduell mit Trump im Juli 2024 - gegen seinen Willen - von einer zweiten Kandidatur Abstand nahm, blieb nicht mehr genug Zeit, eine aussichtsreiche Kandidatin zu küren. Kamala Harris kämpfte dann wacker aus dieser Defensivposition heraus um das Weiße Haus und verlor im November 2024 krachend.
Eine politische Tragödie mit weltpolitischer Tragweite, die man jetzt noch einmal nachlesen kann. Triggerwarnung: Die Lektüre kann Mitleid, Fremdscham und Wut auslösen.
Erst zum Mitleid: Joe Bidens Leben ist voller Schicksalsschläge. Nach dem Tod seines Sohnes Beau wegen eines Gehirntumors 2015 soll es mit Bidens geistiger Gesundheit rapide bergab gegangen sein. Der zweite Sohn, Hunter, kämpfte wie seine Tochter Ashley ständig gegen Drogensucht. Sehr wenig davon drang an die Öffentlichkeit. Biden handelte angesichts persönlicher Tragödien immer gleich - er ignorierte sie einfach, so Tapper und Thompson: "Die Bidens wehrten sich gegen die Realität."
So ging auch sein Beraterteam mit seinem Zustand um. Wichtige Termine gab es nur zur Mittagszeit, wenn er luzide genug war. Auf Auslandsreisen fehlte er oft bei den Abendterminen, man zog ihn aus dem Verkehr, damit seine mangelnde geistige Präsenz nicht auffiel. Ein Mann in diesem Zwangsgerüst aus politischen Notwendigkeiten und Getriebenheit kann einem schon leid tun.
Weiter zur Fremdscham: Der engste Kreis hielt all das nicht nur vor Amerika geheim. Ein hochrangiger Mitarbeiter im Weißen Haus räumt den Autoren gegenüber ein: "Wir versuchten, ihn vor seinem eigenen Stab abzuschirmen, deshalb war vielen Leuten das Ausmaß seines Verfalls, der 2023 einsetzte, nicht klar."
Der Rest ist Wut: Hatten im Jahr 2020 schon 34 Prozent der Wähler geglaubt, Biden sei zu alt fürs Weiße Haus, schoss diese Zahl 2023 auf 71 Prozent hoch. Niemand schaffte es, ihn zum Rückzug zu überreden. Auch seine Frau Jill nicht, die die Autoren als "die überzeugteste Leugnerin seines Verfalls" beschreiben. Soeben wurde bei Biden auch noch Prostatakrebs diagnostiziert. Der letzte Test ist elf Jahre her.