Der erste Schrei

Über das rätselhafte Wesen des Neugeborenen | »Poetisch, tiefgründig, faszinierend.« Livres Hebdo
288 Seiten, Hardcover
€ 22.7
-
+
Lieferung in 2-5 Werktagen

Bitte haben Sie einen Moment Geduld, wir legen Ihr Produkt in den Warenkorb.

Mehr Informationen
ISBN 9783423284998
Erscheinungsdatum 14.08.2025
Genre Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Gesellschaft
Verlag dtv Verlagsgesellschaft
Übersetzung Claudia Kalscheuer
LieferzeitLieferung in 2-5 Werktagen
HerstellerangabenAnzeigen
dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
Tumblingerstraße 21 | DE-80337 München
produktsicherheit@dtv.de
Unsere Prinzipien
  • ✔ kostenlose Lieferung innerhalb Österreichs ab € 35,–
  • ✔ über 1,5 Mio. Bücher, DVDs & CDs im Angebot
  • ✔ alle FALTER-Produkte und Abos, nur hier!
  • ✔ hohe Sicherheit durch SSL-Verschlüsselung (RSA 4096 bit)
  • ✔ keine Weitergabe personenbezogener Daten an Dritte
  • ✔ als 100% österreichisches Unternehmen liefern wir innerhalb Österreichs mit der Österreichischen Post
Kurzbeschreibung des Verlags



Was wissen wir über den Zustand, mit dem alles beginnt?


Wenige Augenblicke nach der Geburt ihres ersten Kindes wird Clémentine Goldszal klar: Sie weiß nichts über das, was nun kommt. Dieses Baby, ihr Neugeborenes, ist wie ein Buch, geschrieben in einer Sprache, die sie nicht lesen oder auch nur entziffern kann. Und so beginnt sie zu lernen: sich eine Sprache beizubringen, die sie selbst nicht kennt. Minutiös beobachtet sie monatelang die Frühchen auf einer Neonatologie-Station, wo hochtechnisierte Medizin auf die Schicksale einzelner Familien trifft. Um das rätselhafte Wesen des Neugeborenen zu verstehen, befragt sie Expert:innen, begleitet Familien, gräbt sich durch die Kulturgeschichte und stellt sich die unvermeidlichen existenziellen und ethischen Fragen.


Mehr Informationen
ISBN 9783423284998
Erscheinungsdatum 14.08.2025
Genre Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Gesellschaft
Verlag dtv Verlagsgesellschaft
Übersetzung Claudia Kalscheuer
LieferzeitLieferung in 2-5 Werktagen
HerstellerangabenAnzeigen
dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
Tumblingerstraße 21 | DE-80337 München
produktsicherheit@dtv.de
Unsere Prinzipien
  • ✔ kostenlose Lieferung innerhalb Österreichs ab € 35,–
  • ✔ über 1,5 Mio. Bücher, DVDs & CDs im Angebot
  • ✔ alle FALTER-Produkte und Abos, nur hier!
  • ✔ hohe Sicherheit durch SSL-Verschlüsselung (RSA 4096 bit)
  • ✔ keine Weitergabe personenbezogener Daten an Dritte
  • ✔ als 100% österreichisches Unternehmen liefern wir innerhalb Österreichs mit der Österreichischen Post
FALTER-Rezension

Die Zerbrechlichkeit des Anfangs

Juliane Fischer in FALTER 42/2025 vom 15.10.2025 (S. 44)

Wenn man ein Kind erwartet, strebt man nach Norm. Größe und Gewicht sollen im Durchschnitt sein, die Entwicklung unauffällig und unkompliziert verlaufen. Ein typisches Baby. Wie heißt es so schön: Hauptsache gesund!

Ungefähr sieben Prozent aller lebend geborenen Babys kommen vor der 37. Schwangerschaftswoche auf die Welt. Je früher, desto unreifer sind Organfunktionen und desto höher ist das Risiko einer Erkrankung oder einer bleibenden Beeinträchtigung. Manche Babys landen auch auf der Neonatologie-Station, weil es bei der Geburt zu Komplikationen kam, weil sie an einem genetischen Defekt leiden oder aufgrund von Anpassungsschwierigkeiten an das Leben außerhalb des Mutterleibs eine intensivmedizinische Betreuung benötigen. All diesen Kindern widmet die französische Journalistin Clémentine Goldszal ihr Buch.

Der titelgebende erste Schrei eines frisch geborenen Kindes steht für Leben und Neubeginn. Ein Laut, auf den Eltern warten, der Startschuss für die Atmung und die Entfaltung der Lungenbläschen. Der Blutkreislauf passt sich an, die Lungen werden besser durchblutet. Kurzum, der erste Schrei ist ein deutliches Zeichen für junges Leben, über das Leserinnen und Leser beim Aufschlagen dieses Buches Erhellendes erfahren möchten. Laut dem Untertitel ist das Wesen der Neugeborenen „rätselhaft“: Goldszal stellt bei ihrer Recherche fest, dass diese in Literatur, Film, Musik oder der bildenden Kunst nur wenig vorkommen. Eine Ausnahme bildet Jesus, das wohl mit großem Abstand am häufigsten in Malerei, Skulptur, Radierung oder Fresko dargestellte Baby weltweit.


„Das Neugeborene, das in jedem von uns steckt, dieses ganz frische Wesen, dieses Inbild von Verletzlichkeit, das wir alle gewesen sind – was hat es erlebt, als es zur Welt kam? Was lebt von dieser Erfahrung in uns weiter? Wo verbirgt sich das Neugeborene, das wir gewesen sind?“, fragt die Autorin vielversprechend im Vorwort. Sie spricht mit einer Psychologin, einer Physiotherapeutin, einem Seelsorger; liest bei Philosophinnen wie Hannah Arendt und Jean-Jacques Rousseau nach und möchte eine Phänomenologie des Neugeborenen erstellen. Das gesammelte Wissen will sie „auf die Präzisionswaage legen, wie die Windeln, die man wiegt, um das Volumen der verschiedenen Ausscheidungen zu verfolgen“.

Antworten sucht Goldszal auf der Neonatologie-Abteilung des Pariser Kinderkrankenhauses Hôpital Necker. Damit lenkt sie ihr Augenmerk auf komplexe Ausnahmefälle, auf „Enfants malades“ (übersetzt: kranke Kinder), so heißt die Station. Ein halbes Jahr lang taucht sie in die hochkonzentrierte Hektik ein. Sie steht am Inkubator und berichtet von den Eingriffen am OP-Tisch, lauscht den Fallkonferenzen und der Ethikvorlesung für zukünftige Hebammen.


Die Babys auf dieser Station leiden an unvorstellbaren Pathologien: Lücken im Zwerchfell, Herzklappen, die klemmen wie eine kaputte Tür, eine unvollständige Luftröhre oder austretende Eingeweide. Das ist nichts für schwache Gemüter. „Die Geburt noch so nah, der Tod so leicht möglich“, heißt es an einer Stelle.

Durch die Lektüre erleben wir Schlüsselmomente mit, die das gesamte weitere Leben dieser gebeutelten kleinen Körper bestimmen werden: Sie zeigen Entzugserscheinungen nach Morphin. Sie reagieren empfindlicher als andere auf Schmerz, wenn sie in ihren ersten Wochen viel Schmerz ausgesetzt waren. Ein Kindergartenkind, das nach seiner Geburt Adrenalin bekam, um sein Herz zu stimulieren, brachte sich später immer wieder in Gefahr. Es sprang so lange von Stühlen und Tischen, bis es sich etwas brach – mit der Folge, dass seine Eltern der Misshandlung verdächtigt wurden.

Goldszal beobachtet und befragt, sie appelliert (Pflegenotstand!) und bewundert. Insofern schuf sie eine Hommage an das hingebungsvolle Pflegepersonal und die hochspezialisierte Ärzteschaft. Selbst auf das Reinigungspersonal hat sie nicht vergessen, wenngleich es unverständlicherweise – zwar in Gänsefüßchen, aber dennoch – als „Lumpenproletariat“ bezeichnet beziehungsweise übersetzt wird.

Die Autorin moniert richtigerweise: Die Welt sträubt sich dagegen, Geburt und Krankheit zusammenzudenken. Insofern ist ihr Buch ein löbliches. Es ist unzweifelhaft wichtig, diesem Thema Aufmerksamkeit zu schenken. Bloß lässt der Titel einen Blick auf alle Neugeborenen erwarten. Freilich gilt manches, das man lernt, für jeden Säugling, etwa, dass Haut-zu-Haut-Kontakt die Sauerstoffsättigung des Blutes ansteigen lässt, den Herzrhythmus stabilisiert, die Atmung harmonisiert, gegen Schmerzen wirkt und die Gehirnentwicklung anregt. Oder dass die Lunge sich bis zum Alter von zwei Jahren fortentwickelt.

Mit Katheter und Infusionsschläuchen verkabelt sind Fiona, das Schmetterlingsbaby Roméo oder Diane, die brüllt, aber durch die Intubationssonde stumm bleibt. Für die kranken Neugeborenen gibt es nicht, wie der Titel suggeriert, einen lebensbejahenden, gesunden ersten Schrei. Für sie sind die ersten Sekunden oft ein Kampf mit den Symptomen des Atemnotsyndroms. Und meistens mit einer Schnappatmung beendet auf der Station etwa einmal pro Woche ein winziges Wesen seinen Überlebenskampf.

Insofern seien besonders werdende Eltern gewarnt: Einerseits ermutigt dieses Buch. Heutzutage überleben 90 Prozent aller Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht von unter 1500 Gramm. Und es ist erstaunlich, wie rasch die Forschung Fortschritte macht. Explizit zeigt das Buch allerdings auch, wie extrem schwierig die ersten Lebenswochen verlaufen können und dass manche Kinder nicht darüber hinaus kommen. Den meisten neuen Erdenbürgern bleibt all das glücklicherweise erspart.

weiterlesen