

Putin ist, wie einen Schläger in der Familie zu haben
Tessa Szyszkowitz in FALTER 1-2/2024 vom 10.01.2024 (S. 20)
Nicolas Chauvin wäre wohl kein Fan dieses Buches. Der Legende nach war der mutmaßliche Namensgeber des Chauvinismus nicht nur ein "hyperpatriotischer Bauernsoldat", er war auch laut Sabine Fischer "ein primitiver Macho". Die deutsche Politikwissenschaftlerin hat selbst Jahre in Russland gelebt und ist heute als Senior Fellow der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin tätig. Angesichts der Gewaltexplosion, die Putins Invasion in der Ukraine ausgelöst hat, hat sie über jene Bausteine geforscht, aus denen sich das russische System zusammensetzt: "Nationalismus, Sexismus und Autokratie."
Schon knapp nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion waren im neuen Russland nationalistische Parteien erfolgreich - im Falle der KP mit Sowjetnostalgie gemischt, die LDPR unter Waldimir Schirinowski und Leonid Sluzki zeigte beispielhaft, wie sich "Nationalismus, Sexismus und autoritäres Gedankengut" verschmelzen lassen.
Machismo im Kreml Es gab zwar nach der bolschewistischen Revolution 1917 und auch nach dem Ende der Sowjetunion jeweils kurze Phasen, in denen emanzipatorische Politik feministischen Frauen kurz Hoffnung auf Gleichberechtigung gab. Doch sie währten nur kurz. Seit der Wahl von Wladimir Putin zum Präsidenten im Jahr 2000 ist der Machismo im Kreml eingezogen. Nicht nur dort. Er machte sich auch in Regierungskabinetten, den Vorständen von Firmen und in den Wohnzimmern breit. Hetze gegen Migranten und gegen Amerika sind seit 2014 ebenfalls fester Bestandteil des Politmixes. Seit der Annexion der Krim und dem Beginn des Krieges in der Ostukraine wird die Ukraine außerdem verstärkt als Hure diffamiert und vom russischen Präsidenten Wladimir Putin zum Vergewaltigungsopfer stilisiert.
Was dem Chauvinismus aber erst so richtig zum Durchbruch verholfen hat, sind Putins Kriege. Tschetschenien, Georgien, Syrien, Ukraine. Die Feldzüge brutalisieren die Soldaten, die oft nicht mehr aus dem Trauma der Gewalt auf dem Schlachtfeld heraustreten können. In diesem permanenten Gewaltexzess haben sich das Private und das Politische längst vermischt. Die wenigen Frauen, die es unter Putin in die erste Reihe schafften, tragen seine Politik mit: Walentina Matwijenko, die Vorsitzende des Föderationsrates, oder Elwira Nabiullina, Chefin der Zentralbank. Die russische Frauenrechtlerin Alyona Popova sagt: "Unsere Staatsmacht verhält sich wie ein Schläger in seiner Familie."
Feminismus in der EU Die EU dagegen setze dem putinistischen Chauvinismus zu wenig entgegen. Sie sei durch den Erfolg der hauseigenen Rechtspopulisten geschwächt, analysiert Fischer. Marine Le Pen, Giorgia Meloni oder Alice Weidel geben der neuen Rechten ein "pseudoemanzipiertes Antlitz". Doch dahinter steht die alte Fratze des ultranationalistischen Chauvinismus. In den Worten von Björn Höcke, dem rechtsextremen Spitzenkandidaten der AfD in Thüringen: "Wir müssen unsere Männlichkeit wieder entdecken! Nur wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft."
Gegen Ende schenkt Fischer der Leserschaft einen kleinen Lichtblick: Annalena Baerbock habe Deutschland zumindest eine feministische Außenpolitik verpasst. Und das bedeute nicht etwa Pazifismus. Sondern die geschundene Ukraine mit Waffen zu ihrer Verteidigung gegen Russland auszustatten.
Die Autorin Sabine Fischer spricht am 25. Jänner im Kreisky Forum über ihr Buch unter dem Titel: Machismo und Macht