

Wenn sich der Schalter umlegt
Sebastian Fasthuber in FALTER 11/2014 vom 14.03.2014 (S. 15)
Mit dem Thriller "Totenfrau" könnte für Bernhard Aichner eine große Karriere beginnen. Ein Porträt
Ü berschreitet man einmal die Grenze und tötet Menschen, dann fällt es beim zweiten Mal nicht mehr so schwer. Und beim dritten Mal ist es fast schon Routine. So ergeht es in "Totenfrau" der Heldin namens Blum, die nicht nur aufgrund ihres Berufs als Bestatterin ein Naheverhältnis zum Tod hat. Bereits auf den ersten Seiten von Bernhard Aichners Roman bringt sie ihre Eltern um. Sie hat sich lange genug von ihnen unterdrücken lassen.
Alles Folgende steht unter dem Eindruck dieses ersten Kapitels, in dem Blum nachdrücklich ihre Kaltblütigkeit demonstriert. Dass es Aichner gelingt, sie dem Leser auf den folgenden 400 Seiten als durchaus nette Person, liebende Ehefrau und Mutter zu verkaufen, ist keine schlechte Leistung. Irgendwann beginnt sie trotzdem wieder zu morden – aus Rache.
"Mir ist wichtig, dass ich immer etwas Neues mache", erzählt der aus Osttirol stammende Autor über die Entstehung des Buchs. "In dem Fall ist es kein Krimi, in dem ein Mord passiert, der später aufgeklärt wird, sondern man weiß von Anfang an: Das ist eine Mörderin. Ich wollte aus der Perspektive einer Frau schreiben, die keine Skrupel hat zu töten, und sie so nett darstellen, wie es nur geht."
Das war originell genug, um Aichner zu einem ordentlichen Karriereschub zu verhelfen. Erschienen seine Bücher bislang im Innsbrucker Haymon Verlag bzw. bei dessen kleinem Bruder Skarabäus, so kam es zu einem Wettbieten darum, welcher Verlag "Totenfrau" bekommen sollte – ein Verfahren, wie es sonst bei Bestsellern im angloamerikanischen Raum zur Anwendung kommt. Den Zuschlag hat schließlich btb erhalten, ein Verlag der Gruppe Random House.
"Ich hätte gleich das erste Gebot angenommen", rekapituliert Aichner. "Mein Agent hat natürlich die anderen Verlage, die interessiert waren, über das Gebot informiert. So wurde öfters nachgezogen und draufgelegt." Nicht weniger als fünf Häuser haben mitgeboten. Für den Autor ein surreales Erlebnis: "Ich bin daheim gesessen und habe mir gedacht: Ich kann nicht mehr."
Apropos "Agent": Aichner hat sich, auch das ist für einen österreichischen Autor ungewöhnlich, während des Schreibens entschieden, einen zu nehmen. "Ich habe geschaut, welche Autoren die deutschen Agenten unter Vertrag haben – und habe mir die sechs besten rausgesucht", sagt er. "Von den sechs wollten vier mein Exposé. Das war ein gutes Gefühl. Wenn die dich wollen, ist das Buch praktisch verkauft. Mein Agent Georg Simader kriegt 97 Prozent der Bücher seiner Klienten unter."
Hier fängt die unglaubliche Geschichte des angesagten Erfolgs "Totenfrau" aber erst an. Denn inzwischen hat Random House auch schon Lizenzen in zahlreiche Länder verkauft. "Totenfrau" wird derzeit ins Englische, Französische, Norwegische, Italienische, Niederländische und Polnische übersetzt, in den USA wird es bei Scribner erscheinen, was Aichner zu einem Verlagskollegen von Stephen King macht. Und auch die Chancen auf eine Verfilmung stehen derzeit gut.
Eine steile Laufbahn für einen, der erst die Schule abgebrochen, mit etwas über 20 zu schreiben begonnen und im zweiten Bildungsweg Germanistik studiert hat. Wobei der elitäre Zugang nie seiner war: "Ich habe einmal meinen Lieblingsprofessor gefragt, ob es mir schaden würde, einen Krimi zu schreiben. Zum Glück hat er gesagt: ,Passt schon. Wenn du Leser willst, schreib einen Krimi.'"
Vorher aber versuchte er sich an einem Roadmovie ("Das Nötigste über das Glück", 2004) und schrieb zwei weitere Romane zwischen poetischen Bildern und dramatischen Konstellationen ("Nur Blau", 2006, "Schnee kommt", 2009). Vor drei Jahren gab er mit "Für immer tot" dann sein Krimidebüt. Inzwischen sind drei Bücher um den Totengräber Max Broll erschienen. "Keine Regionalkrimis", wie der Verfasser betont. "Ich habe mich dagegen gewehrt, dass der Verlag ,Ein Tirol-Krimi' draufschreibt. Sonst hätten wir wahrscheinlich dreimal so viele Bücher verkauft."
Letzteres dürfte ihm mit dem neuen Roman nun locker gelingen. "Ich hätte gern ganz viele Leser", sagt er unverblümt. Dass sein nächster Roman (wieder ein Thriller) praktisch fertig ist, nimmt ihm auch etwaigen Druck, sollte sich "Totenfrau" tatsächlich zum Bestseller entwickeln. Wie es danach weitergeht, hat Aichner ebenfalls schon geplottet: noch ein Thriller sowie ein weiterer Max-Broll-Krimi werden folgen.
Die Pläne reichen noch weiter: "Danach schreibe ich endlich einen Liebesroman. Bis dahin kann ich es mir hoffentlich erlauben. Dem Wolf Haas hätte man ,Das Wetter vor 15 Jahren' wahrscheinlich auch nicht abgekauft, wenn er nicht vorher die Brenner-Romane geschrieben hätte." Vom Schreiben leben konnte Bernhard Aichner bislang noch nicht. Musste er auch nicht, betreibt er doch in Innsbruck ein Fotoatelier. Die meisten Aufträge wird in der nächsten Zeit seine Frau, mit der er sich die Arbeit teilt, übernehmen müssen. Ganz aufgeben will Aichner das Fotografieren aber nicht: "Dafür macht es mir zu viel Spaß. Und wer weiß, was in fünf Jahren ist?"
Ein nicht ganz realistischer Plan C wäre noch, auf Bestatter umzusatteln. Zur Recherche für den Roman half Aichner in einem Innsbrucker Bestattungsinstitut aus: "Ich habe mich um die Versorgung der Toten gekümmert – Haare waschen, frisieren, anziehen. Das war gut für mich und hat mir die Angst vor dem Tod ein bisschen genommen."
Wie aber sieht es mit dem Umbringen aus? "Das habe ich mich beim Schreiben oft gefragt: Könnte ich das auch tun? Die Antwort lautet: Ja. Jeder hat etwas Böses in sich. Aber damit sich der Schalter umlegt und man es wirklich tut, braucht es sehr viel."
Lesung: 20.3., Wien, Thalia 1030