

Röcke aus Glas mit Rüschen aus Eisen
Kirstin Breitenfellner in FALTER 41/2012 vom 12.10.2012 (S. 11)
Basteln auf höchstem Niveau: Nobelpreisträgerin Herta Müller legt ihren dritten Band mit Gedichtcollagen vor
Es sind sinnliche Gedichte: Gedichte, bei denen nicht nur die Sprache, sondern auch die Schrift eine Rolle spielt. Sie bestehen aus Schnipseln aus Zeitschriften und Zeitungen, aus großen und kleinen, fetten und dünnen, bunten und schwarzen Buchstaben, aus ganzen und zusammengesetzten Wörtern.
Und sie sind, recht ungewöhnlich, sogar illustriert, mit surrealen kleinen Collagen. Unter dem kurzen Gedicht "Weit im Wind / laufen die Orte vorbei / – verlorene Mäntel / gefüttert mit Heu" fährt dann etwa ein Lastwagen auf einer Wolke, die über einer grünen Wiese steht.
Mit "Vater telefoniert mit den Fliegen" legt Herta Müller nach "Im Haarknoten wohnt eine Dame" (2000) und "Die blassen Herren mit den Mokkatassen" (2005) bereits den dritten Band mit Gedichtcollagen vor. Im Dezember 2003 erzählte sie in der Alten Schmiede, wie diese Gedichte entstehen: wie sie zu Hause mit all den Schnipseln am Tisch sitzt, wie die Wörter sie anspringen und sich plötzlich zusammentun, welche Neugier und welche Befriedigung sie dabei verspürt. Ernste Freude an einem kindlichen Spiel, das bei Müller freilich auf bitterer Erfahrung beruht.
Herta Müller wurde 1953 als Rumäniendeutsche im Banat geboren und war jahrelang dem Terror der Securitate ausgeliefert, der nahe Freunde zum Opfer fielen. Als das Leben nicht mehr stimmte, wurde auch die feste Verbindung der Wörter zu den Gegenständen brüchig, zerstört durch die Erfahrung der Diktatur, die Schikanen des Geheimdienstes, die Macht der Angst.
Diesen Prozess beschreibt sie in ihrem Essayband "Der König verneigt sich und tötet" (2003), der im Titelessay Auskunft über die Entstehung und Poetik ihrer Gedichtcollagen gibt. Als Schlüssel zu den Gedichten erzählt er etwa davon, wie für Müller das Reimen begann, als das Wort "König" zum ersten Mal in einen Text durfte, der König, der für die "Lebensgier in der Todesangst" steht. Herta Müller hat erfahren, was es bedeutet, wenn die Angst die Wörter ihres Sinns beraubt, ihnen neue Bedeutungen einschreibt, den Blick verformt, bis die Welt sich Stück für Stück gegen den Verstand zusammenbraut, bis der eigene Blick zu jenem "fremden Blick" wird, der im Westen so gerne missverstanden wird als der Blick jemandes, der von außen in ein fremdes Land gekommen ist.
Aber, darauf insistiert sie: Der fremde Blick hat mit der Einreise nichts zu tun, er ist ein mitgebrachter aus einem beschädigten Leben, entstanden in einer Heimat, wo einem Vertrautes entfremdet, seiner Selbstverständlichkeit beraubt wurde. "Ich gehöre / daheim / dorthin / wo ich nicht bin / und auch nicht wäre / wenn ich anders / zurückkehre zum Beispiel / als Schnee oder Brombeere" lautet eines der neuen Gedichte.
"Eine aus einem armseligen Land Dahergelaufene mit kaputten Nerven" nannte sich Müller, die 1987 in die Bundesrepublik Deutschland emigrierte, 2003 noch nonchalant. Die Nerven scheinen inzwischen wieder ein wenig robuster geworden zu sein, falls es möglich sein sollte, das aus Gedichten abzulesen. Die Gedichte in "Vater telefoniert mit den Fliegen" kommen auf den ersten Blick weniger schmerzlich, vielleicht auch weniger dringlich daher, dafür mit mehr Sinn fürs Detail und mehr prallvoller Sinnlichkeit.
Ein Grundton von Bedrohtheit und Angst durchzieht dennoch diese Texte, und es gelingt Müller, die Unbehaustheit der menschlichen Existenz in zeitlose Bilder zu bannen. "dass Gefühle Röcke / aus Glas mit Rüschen / aus Eisen tragen / rührt beides nicht / an Grundsatzfragen" lautet eines der Gedichte.
Immer noch pflegen die Gegenstände ihre typische Komplizenschaft mit der Vergangenheit, die unvermutet in der Gegenwart wieder auftaucht. Und noch immer handeln die Gedichte vom banatschwäbischen Dorf, weniger offensichtlich von Verfolgung und Flucht. Immer öfter haben sich Reime eingeschlichen, und ein neuer Hang zur Verdichtung mündet manchmal in Aphorismen, deren rätselhafter und oft unheilvoller Ton einen nicht mehr loslässt: "Der erste / Vogel den / ich sah / war ein Taschentuch / im Wind ... / kein Betrug nur / Gegenwart im Zeitverzug" oder: "Hinter den Details / sah man der Lüge / frei ins Dekolleté / mehlweiß ging / sie bis zum großen Zeh".