

Es braucht Frauen, die aufräumen
Daniela Strigl in FALTER 11/2014 vom 14.03.2014 (S. 20)
Martin Mosebach erweist in seinem Roman "Das Blutbuchenfest" unverkennbar Heimito von Doderer seine Reverenz
Eine Literaturgeschichte des verpatzten Festes, von der Antike bis zu Horváth und Doderer, wollte Wendelin Schmidt-Dengler immer schreiben, leider ist er dazu nicht mehr gekommen. Martin Mosebachs neuer, epochal ausgebreiteter Roman erzählt gleich von drei verpatzten Festen; bei zweien davon gibt es einen Toten. Beim Hochzeitsfest in einem bosnischen Dorf geschieht ein Unglück, beim Geburtstagsbankett für einen Frankfurter Anwalt droht der Herztod eines Gastes die Feier zu sprengen, weshalb das feinstmechanisch aufeinander abgestimmte Gastgeberpaar den Mantel der Diskretion darüberbreitet.
Das titelgebende "Blutbuchenfest" (Blut muss also fließen!), auf das der Roman unaufhaltsam zusteuert, entgleist nicht nur, weil Hausherr und Maître de Plaisir sich aus dem Staub machen und Jugendliche die Party entern, sondern weil zur gleichen Zeit in Bosnien der Krieg ausbricht und die gar nicht heimliche Heldin des Romans, die Putzfrau Ivana, die Flucht ihrer Familie übers Handy miterlebt.
Übers Handy? 1992? Mosebachs vermeintlicher Regiefehler hat eine Realismusdebatte im Feuilleton ausgelöst: Science-Fiction im realistisch ausgepinselten Gesellschaftsroman? Ausgerechnet der glühende Antimodernist Mosebach wollte auf den Kniff der Simultaneität durch Technik aber nicht verzichten. Genauso wenig kümmert er sich darum, dass es dazumal kein "Kroatisch", sondern nur das "Serbokroatische" gab. Diese programmatische Ignoranz ist der eine Schönheitsfehler des Buches, der andere ist womöglich noch substanziellerer Natur: Doderers Name ist gefallen.
"In der Nachfolge ist bereits der Ansatz zur Parodie" – an diesen Satz von Elazar Benyoëtz denkt man gleich im ersten Kapitel, in dem die Beschreibung Ivanas als schaumgeborene Venus in der Badewanne ihrer Arbeitgeberin den über alles Bescheid wissenden, jede Arabeske auskostenden Erzählton der "Strudlhofstiege" perfekt imitiert. Was Doderer der Hausmeister, das ist Mosebach die Bedienerin: geheimnistragende Stabsstelle des amourösen Geschehens. Doderers Liebe zu Reptilien entspricht hier eine – unvergessliche – Hommage an die Schildkröte, und sogar die Bedeutung des häuslichen Raumes für die Erzählarchitektur übernimmt der Autor von seinem Vorbild. Die Frage bleibt, ob solch rückhaltlose Reverenz ein Kunstwerk nicht in seinem Kern bedroht.
Und doch ist "Das Blutbuchenfest" vermutlich Martin Mosebachs bestes Buch, weil in all dem Stilprunk und der Manier – "Sopha" schreibt ja nicht einmal Doderer – ein Anliegen mit ironischer Schärfe Form annimmt: gegen die wahre Welt der kleinen Leute (auch etwas Dodereskes) die Frivolität dieser Frankfurter Werbefritzen, Agenturinhaberinnen und Unternehmersgattinnen auszustellen, die sich aufplustern, als "lebten sie nicht auf hauchdünnem Eis, als sei ihr Leben ein Fest und ihr Mann ein sicheres Fundament". Der von Frau Breegen ist es nicht, Ivana entdeckt ihn im Kleiderkasten der schönen Maruscha.
Ein zweiter Erzähler erschließt uns abwechselnd den Kosmos der mehr eingebildeten als echten Reichen und Schönen, zusammengehalten durch Ivana, die Ordnungskraft, und Merzinger, den windigen Szenewirt, der just aus Niederösterreich kommt. Dieser Icherzähler, ein junger Kunsthistoriker, soll für den berühmten Pläneschmied Professor Wereschnikow die Ausstellung eines verblichenen jugoslawischen Bildhauers realisieren, mit dem Ivana, welch Zufall, verwandt ist.
Er scheitert darin wie in seiner Liebe zu Winnie, dem unsteten Feenwesen. Das großsprecherische Projekt am Rande des Abgrunds ist ein europäischer Kongress zur Rettung Jugoslawiens mit dem Titel "Die Wurzeln und Fundamente der menschlichen Würde in den Kulturen des Balkans" – hier winkt die Musil'sche Parallelaktion.
Verkörpert wird die menschliche Würde hingegen von der jedem Wortgeklingel abholden Ivana, einem "Homo hierarchicus" mit "anarchischer Disposition", der "wie ein Widder" wütend durch die Welt rennt, um es mit ihr aufzunehmen. Mosebach lässt keinen Zweifel daran: Wenn unsere Zivilisation sich nach desaströsen Zusammenbrüchen immer wieder aufs Neue aufrappelt, dann weil sie aufräumen: Frauen wie
Ivana.