

Käse, Klischees und Klosterneuburg
Klaus Nüchtern in FALTER 11/2014 vom 14.03.2014 (S. 16)
Mit dem Episodenroman "Glücklich die Glücklichen" liefert Yasmina Reza fast eine aufregende Phänomenologie des Paares
Paare sind ein tolles Thema. Wie entstehen sie? Wohin gehen sie? Was hält sie zusammen? Was treibt sie auseinander?
Der beste Ort, um Paare zu beobachten und Antworten auf diese Fragen zu bekommen, ist natürlich die Käsetheke. Denn von einem perfekt gereiften Brie zum Blowjob ist es oft nur ein kleiner Schritt. Die Schottin A.L. Kennedy, eine der kundigsten Paarbeobachterinnen der zeitgenössischen Literatur, beschreibt in ihrer Erzählung "Verschont", wie sich der ehefrustrierte Greg und eine ihm völlig unbekannte Frau in der Schlange vor der Käsetheke kennenlernen und kurz darauf im Bett landen.
Odile und Robert, die nun von Yasmina Reza in den Supermarkt geschickt werden, haben das Knistern der Kennenlernphase, in der der Käsekauf noch von erotischen Konnotationen begleitet wird, längst hinter sich: "Wer mag denn diesen Scheiß-Morbier?!"
Wo Odile recht hat, hat sie recht: Morbier braucht echt keine Sau. Aber um das geht es hier natürlich nicht, sondern um einen bizarren Kampf der Geschlechter. Gerade hat sich Odile doch glatt "wieder in die Käseschlange gestellt", da herrscht sie Robert an: "Ich zähle bis drei ..."
Mit ihren weltweit gespielten Stücken "Kunst" und "Der Gott des Gemetzels" hat sich Reza als gewitzte Phänomenologin bürgerlicher Eskalationsszenarien erwiesen, und das Eingangskapitel zu "Glücklich die Glücklichen" zeigt die Französin auch auf der Höhe ihrer Kunst: Wie sich das Gender-Gerangel mit seinen Über- und Untergriffen aufbaut, bis schließlich der Käse fliegt, ist scharf beobachtet und höchst vergnüglich zu lesen.
Leider trifft das auf die meisten der verbleibenden Kapitel des Buches nicht zu. "Glücklich die Glücklichen" ist als "Roman" ausgewiesen. Tatsächlich handelt es sich um eine Abfolge von kurzen, vielfach nicht mehr als sieben, acht Seiten umfassenden Episoden, in der das 19 Personen umfassende Figurenarsenal multiperspektivisch aufgefächert wird und zu Wort kommt.
Das ist freilich eher kompliziert als komplex: Der Leser muss ständig darüber nachdenken, wer noch schnell einmal Pascaline und Paola, Rémi und Raoul waren und wo sie bereits vorgekommen sind, ohne dass die korrekte Auflösung sonderlich spannende Erkenntnisse liefern würde.
Das Quartett hatte sich doch schon in "Kunst" und "Gott des Gemetzels" als sehr effektive Konstellation erwiesen. Warum also hat sich die Autorin nicht auch hier auf Odile und Robert und das mit diesen befreundete Ehepaar, die Hutners, beschränkt? Was für ein Prosakammerspiel hätte daraus nicht werden können!
Reza ist eine Virtuosin, wenn es darum geht, Situationen vom Komischen ins Katastrophale kippen zu lassen. Er sei ein Mann, der das Glück "in Würfelform" suche, ätzt Robert über Lionel, die männliche Hälfte der Hutners, auf deren symbiotische Spießigkeit er und Odile gern ein bisschen verächtlich herabblicken (was den eigenen ehelichen Kleinkrieg dann ja auch gleich in ein milderes Licht taucht). Bloß haben Lionel und Pascaline einen guten Grund, etwas näher zusammenzurücken. Ihr Sohn hält sich nämlich für Céline Dion. Und, nein, das ist kein Witz.
Wer sich so etwas Grandioses einfallen lässt, kriegt bald einmal ein Problem, das Niveau zu halten. Dass Odile offenbar hin und wieder mit Rémi in die Kiste hüpft, nimmt man ja noch mit einem gewissen Interesse zur Kenntnis, und man mag vielleicht auch das Niveau goutieren, auf dem sich der Chauffeur und die Kostümassistentin während eines Drehs in Klosterneuburg über die Raffinesse des Designs von Pim's-Kekspackungen unterhalten. Aber schon die klischeehafte Selbstbezichtigungsmechanik, die hinter der Abgebrühtheitsrhetorik der promiskuitiven Chantal klappernd zu vernehmen ist, geht einem ein bisschen auf die Nerven. Und, sorry, das Verhältnis von Virgine zu deren Großtante ist uns wirklich wurscht.
Richtig gut wird es erst, wenn Reza wieder zu Robert und Odile zurückkehrt – diesmal freilich nicht mehr an die Käsetheke, sondern auf den Friedhof. Aber da ist der schlanke Roman dann auch schon auf seinen letzten 25 Seiten angelangt. Ein Roman, der eigentlich ziemlich gut hätte werden können.