

Der amerikanische Wutbürger
Sebastian Fasthuber in FALTER 7/2015 vom 13.02.2015 (S. 29)
Streben nach Unglück: T.C. Boyle legt mit "Hart auf hart" einen seiner düstersten und stärksten USA-Romane vor
Auch wenn er manchmal schwächelt, weil er seine Romane fast im Jahrestakt raushaut, gebührt dem fleißigen T.C. Boyle doch immer wieder Lob. Wie kaum einem zweiten Schriftsteller seiner Generation gelingt dem Kalifornier der Spagat zwischen Unterhaltung und Anspruch. Boyle ist zugleich Bestsellerautor und Literat von Rang. Er versteht es, aktuelle Themen aufzugreifen und daraus Bücher zu machen, die im guten Sinne zeitlos wirken.
Mit "Hart auf hart" beweist er erneut seine Klasse. Zunächst pfeift er auf die Konvention, dass Romanhelden Sympathieträger sein müssen, und schickt ein grundunsympathisches Figurengespann ins Rennen: den durchgeknallten Waffenfreak Adam, dessen zwischen Althippie und gewaltbereitem Reaktionär schlingernden Vater Sten sowie Adams Freundin Sara.
An Sara macht Boyle die Kehrseite des amerikanischen Freiheitsideals fest. Auf den ersten Blick ist die Vierzigerin eine starke Frau, die sich allein durchschlägt. In früheren Boyle-Romanen wäre sie als linke Halbaussteigerin aus dem System gezeichnet worden. In "Hart auf hart" wird schnell deutlich, dass Sara wie viele, die einst Hippie-Werte repräsentierten, an den rechten Rand abgedriftet ist. Sie glaubt an eine Verschwörung der Konzerne und der Regierung gegen die kleinen Leute und lehnt sich dagegen auf, von Behörden überhaupt behelligt zu werden. Sie habe keinen Vertrag mit dem Staat Kalifornien abgeschlossen, sagt sie einer verdutzten Polizistin, die lediglich im Rahmen einer Verkehrskontrolle ihren Führerschein sehen will. Es folgt ein Kleinkrieg mit diversen Ordnungsinstanzen, der Sara dazu bringt, einmal für kurze Zeit abzutauchen.
Dafür eignet sich das abgelegene alte Haus, das einst Adams Großmutter gehörte und in dem er nach deren Tod allein lebt. Seine Tage verbringt Adam in den Wäldern, wo er das Gefühl hat, sicher zu sein. Seit seiner Jugend leidet er an psychischen Problemen, sieht überall "Aliens", die es zu bekämpfen gilt. Er geht ihnen aus dem Weg, trägt aber trotzdem immer ein Gewehr bei sich. Das macht ihn zu einer tickenden Zeitbombe.
Sara versorgt ihn als Mutterersatz und Geliebte mit Essen und Sex. Dass Adam gefährlich ist, sieht sie nicht. Auch seine Eltern haben keinen Zugang mehr zu ihm. Sten könnte in "Hart auf hart" noch am ehesten die Figur sein, die alles in Ordnung bringt. Der Vietnam-Veteran hat es bis zum Schuldirektor geschafft und könnte nun, mit 70, seinen verdienten Ruhestand genießen. Aber er hat kein Talent zur Ruhe. Schon im ersten Kapitel, das wie eine Ouvertüre in den Roman führt, kündet sich Unheil an. Sten ist mit Carolee auf einer Luxuskreuzfahrt unterwegs. Bei einem Landausflug in Costa Rica wird ihre Gruppe von drei jungen Kriminellen überfallen. 1,90-Mann Sten ist mit seinen 70 Jahren noch gut in Schuss, hat aber seinen Zorn nicht gut im Griff. Am Ende ist einer der schmächtigen Angreifer tot. Auch zurück zu Hause in Kalifornien, wo mexikanische Kartelle in den Wäldern Drogenplantagen anlegen und die Umwelt vergiften, lässt Sten die Wut nicht los.
Eine meisterhaft komponierte Geschichte breitet Boyle auf knapp 400 Seiten aus, in die er von amerikanischer Paranoia bis zu Ökologie eine Menge reinpackt, ohne sie zu überfrachten. Boyle zögert die finale Gewaltexplosion hinaus, zieht die Schrauben nur langsam immer weiter an, bis die Handlung doch in der unvermeidlichen Katastrophe gipfelt. Unvermeidlich, da in diesem Roman alles am Arsch ist: die Menschen, die Natur und nicht zuletzt die amerikanische Seele, der geheime Protagonist von "Hart auf hart".
Lange Zeit wurde in der US-Literatur nach dem großen amerikanischen Roman gesucht. "Hart auf hart" ist ein großer amerikanischer Roman. Er erzählt von den kümmerlichen Resten, die vom Streben nach Freiheit und Glück geblieben sind. Zum Glück hat Boyle noch ein bisschen Humor übrig, sein bisweilen aufblitzender Sarkasmus verhindert, dass die Lektüre trostlos wird.