

Spurensuche mit Fäden, Kameras und GPS-Sendern
Peter Iwaniewicz in FALTER 41/2017 vom 13.10.2017 (S. 51)
Biologie: Ein wunderschönes Buch zeigt, was man mittels Bio-Logging über die Wege der Tiere herausgefunden hat
Vermutlich fällt in der Menschheitsgeschichte das Erwachen des Geistes mit der Fähigkeit zusammen, Spuren der Beutetiere lesen zu können. Und bis vor wenigen Jahren waren Biologen und Naturschützer auf das Interpretieren von Fußabdrücken, Fraßspuren, Federn und Nestern angewiesen, wenn sie Wanderwege und Zugrouten der meist unsichtbaren Tiere erforschen wollten. 1803 band John James Audubon erstmals Singvögeln Fäden an die Beine, um zu untersuchen, ob Individuen im Frühjahr wieder zu den Nistplätzen des Vorjahres zurückkehren. Und 1907 befestigte erstmals ein deutscher Apotheker Kameras an Tauben, die während des Fluges automatisch Fotos machten. Aber erst 1997 konnte man mit den ersten GPS-Halsbändern nachweisen, dass Elefanten aus Kenia die Grenze nach Tansania überschritten.
Viele Tierarten kann man mit Fernglas und Kamera gut beobachten und mit der dafür nötigen Ausdauer einiges über ihren Tagesablauf und ihre Aktionsräume erfahren. Aber bei vielen anderen Spezies ist dies nicht möglich. Manche bewegen sich zu schnell, andere verschwinden im Unterholz oder sind nur in der Nacht aktiv. Doch selbst bei so großen Tiere wie Giraffen weiß man bislang noch wenig über Territorialverhalten oder Bewegung der Herden. Auch die Lebensdauer in freier Wildbahn war lange unbekannt. Erst als ein mit GPS-Sender ausgestattetes Tier nach 20 Jahren wieder auftauchte, erhielt man die ersten Langzeitdaten über ein einzelnes Individuum.
Diese neue Methodik zur Erforschung der Tierökologie wird Bio-Logging oder auch Wildtiertelemetrie genannt und hat in den letzten 20 Jahren zum Teil erstaunliche Informationen ans Licht gebracht. Dank der raschen Miniaturisierung der Geräte können nicht nur die Position, sondern auch andere Daten wie klimatische Verhältnisse, Beschleunigungswerte und Lichtverhältnisse ausgewertet werden.
Der Geograf James Cheshire und der Designer Oliver Umberti haben auf Basis zahlreicher Bewegungsdaten von Tieren ein hochinteressantes und großartig gestaltetes Buch geschrieben. Aus Millionen einzelner Datenpunkte wurden auch für Laien verständliche Karten, in denen man viel Neues über altbekannte Tierarten erfährt. Zum Beispiel über Dachse. Deren unterirdische Wanderungen werden in ihren verzweigten Bauten durch Magnetpeilung lokalisiert.
Da man früher aufgrund der geringen Lebensdauer der Batterien und geringem Platz auf den Speicherkarten nur einmal am Tag deren Position bestimmte, schienen die Tiere die meiste Zeit nur in einem Kessel ihres Baus zu hocken. Je öfters aber gemessen wurde – stündlich oder sogar alle drei Sekunden –, umso aktiver und weitläufiger zeigten sich die Wanderungen der als eher behäbig eingeschätzten Dachse.
Die Autoren erzählen in lockerem Stil aus der Praxis der Tierforschung und von deren methodischen Problemen. Wie misst man, wie viele Fische ein Pinguin im Ozean an einem Tag frisst? Man befestigt auf seinem Schnabel einen Sensor, der jedes Öffnen des Mauls erfasst. Oder wie erforscht man die größte Tierwanderung dieser Erde?
Jeden Abend machen sich Milliarden winziger wirbelloser Meerestiere, Zooplankton genannt, auf den Weg an die Wasseroberfläche. Sobald die Sonne aufgeht, lassen sich die nur wenige Millimeter großen Kleinkrebschen wieder in die relativ sichere Dunkelheit zurückfallen. Die Tiere werden mit fluoreszierenden Nanopartikeln, mit denen Chirurgen Krebszellen markieren, bestrichen. Bei Bestrahlung mit Licht bestimmter Wellenlänge leuchten diese dann in grellen Farben auf und ihre Lichtspuren können von Kameras erfasst werden.
Ein wunderbares und lesenswertes Buch, das nicht nur liebevoll gestaltet wurde, sondern auch auf jeder Seite mit neuen Überraschungen aufwartet. So erkennt man, wie Wildtiere vor Wilderern fliehen, wie Vögel die Antarktis umsegeln und wie Blauwale dem Lärm der Schiffe ausweichen.
Hohe Lesefreude!