

Agentenspaß im Folterland
Peter Strasser in FALTER 41/2017 vom 13.10.2017 (S. 9)
Jean Echenoz’ Gourmetthriller kitzelt unsere Geschmacksknospen weniger, als es die Werbung verspricht
Der Franzose Jean Echenoz, Jahrgang 1947, wurde bereits mehrfach preisgekrönt. Für seinen Roman „Je m’en vais“ (1999, deutscher Titel: „Ich gehe jetzt“) erhielt er den prestigeträchtigen Prix Goncourt, während er – nebenbei gesagt – von dem seinerzeit hochnotpeinlichen Literarischen Quartett verrissen wurde.
Im Gegensatz dazu begann damals der renommierte Linguist Dieter Wunderlich seine Rezension mit dem sympathisierenden Satz: „Die Handlung des Romans ‚Ich gehe jetzt‘ ist bewusst trivial und ergibt auch keinen Sinn.“
Was den neuen Roman von Echenoz betrifft, „Unsere Frau in Pjöngjang“, so ist weder das eine noch das andere der Fall: Die Handlung ergibt Sinn und ist gewiss nicht trivial im herkömmlichen Sinn. Schließlich geht es um eine französische Sängerin, die in Nordkorea hochbeliebt ist, und zwar wegen eines ihrer dürftigen Songs, dessen koreanische Version Kultstatus erlangt hat. Dort, im Reich des Kim Jong-un, wird sie als Lockvogel eingesetzt, denn der Geheimdienst möchte einen hochrangigen Funktionär aushorchen und, falls nötig, außer Landes schaffen.
Warum dieser Aberwitz ein „Kunststück der Subversion“ sein soll, wie es der Werbetext des Verlages verspricht, ist mir, dem Leser, nicht so recht aufgegangen. Aber das Wort „Subversion“ klingt für deutsche Ohren eben irgendwie aufregend, intellektuell: Bravo, hier wird ein Genre, der Agentenroman, „dekonstruiert“!
Ähnlich wie der Amerikaner Nicholson Baker liebt Echenoz die freundliche, ironische, anteilnehmende Schilderung weniger von hintergründigen Charakteren als von vordergründigem Alltagskunterbunt. Hierin ist er Meister. Und es soll auch gar nicht bestritten werden, dass die Lektüre einer abgefeimten Story mit gezinkter Entführung, ein paar Toten, ziemlich vielen Überlebenden und kuriosen Figuren am Rande durchaus Spaß macht, der sich für Freunde konventioneller Krimis und Agentenromane aber dennoch in Grenzen hält.
Gewiss, es gibt ein kleines Segment, humoristische Spannungsliteratur, wie wir betulichen Leser wohl sagen würden, welche ihr Publikum zugleich unterhält und fesselt, weil sie von großen Könnern des Faches plastisch gestaltet wurde. Denken wir beispielsweise an Dashiell Hammetts „Dünnen Mann“ oder Graham Greenes „Reisen mit meiner Tante“. Damit kann „Unsere Frau in Pjöngjang“ nicht konkurrieren.
Zum einen gibt es in dem ganzen Buch keine Figur, die dem Autor am Herzen zu liegen scheint, weder im positiven noch im negativen Sinne. Entsprechend kalt lassen einen die Personen der Handlung. Zum anderen – und die Distanz erhöhend – wendet Echenoz den altbackenen Ironisierungstrick an, sich als Autor einzumischen und so zu tun, als ob er, der Erzähler, über die von ihm erfundene Erzählung keine Kontrolle hätte. Das lässt immerhin gewitzte Kommentare erwarten, fällt aber zumeist eher lahm aus.
„Früher, oder später“, heißt es zum Beispiel auf Seite 141, „musste es in dieser Geschichte ja etwas expliziten Sex geben.“ Doch dann wird nur „von etwas“ berichtet, „was als Blowjob bekannt ist“, noch dazu einem, dem die Übersetzung bescheinigt, er sei „langsam und tiefgründig“ gewesen.
Muss das sein? Echenoz hätte bei einem anständigen amerikanischen Thriller nachschlagen können, wie man über solche klischeehaften Praktiken weniger öd berichtet. Es brauchte ja nicht gleich die große schmutzige Liebeserotik zu sein, wie man sie etwa in Henry Millers „Stille Tage in Clichy“ oder bei Philip Roth – ich erinnere, des tragischen Blowjobs wegen, an den „Menschlichen Makel“ – findet.
Im Übrigen: Klischeehaftes wird in der Erzählung nicht dadurch besser, dass der Erzähler sich in die Erzählung einschaltet, um über seine Einfallslosigkeit zu räsonieren: „Eine in Wahrheit derart banale, derart oft gesehene Lage, dass wir alle ein bisschen peinlich berührt sind: (…) ich selbst wegen der klischeehaften Konstellation“. Den Scharfrichtern des einstigen Literarischen Quartetts wäre dazu wohl eingefallen: Dann hätte der gute Mann eben etwas weniger Banales schreiben sollen!
Es mag Leser geben, denen das Spiel mit dem abgedroschenen Agentenromanrepertoire ebenso gefällt wie die durchgehende Selbstkommentierung des Autors. Ja, von germanistischen Connaisseurs ist zu hören, dass ihnen die überkommenen Erzählschemata überhaupt erst durch die „Mehrfachkodierung“ erträglich werden. Solche Empfindsamkeit findet dann womöglich akkurat jene Passagen im Buch „subversiv“, die über Nordkoreas Bevölkerungselend und Straflager mittels eines comicartigen Telegrammstils berichten.
In der kurzen Belehrung der Heldin hinsichtlich dessen, womit sie als Spionin konfrontiert sein wird, heißt es: „Eine Hungersnot jagt die nächste, die Tagesrationen betragen bestenfalls 300 Gramm Mais, die Leute werden durchschnittlich nur noch 1,55 Meter groß.“ Ferner, über die Lager: „täglich zwanzig Stunden Zwangsarbeit und zweimal erfinderische Folter“. Die Qualen der realen Opfer im realen Reich des Hungers und der Folter werden derart zu flapsigen Anhängseln des „grandiosen Spaßes“, den uns Echenoz bereitet.
Im Rückblick auf die Entstehung seines „Großen Diktators“ hat Charlie Chaplin sinngemäß eingeräumt, dass, wären ihm die KZ-Gräuel in vollem Umfang bekannt gewesen, er dann Hitler und die Juden nicht um eines Lachers willen persifliert hätte. Echonez’ Gourmetthriller verhält sich gegenüber solch moralinsaurer Einsicht – wie soll man sagen? – heiter-gelassen. Bleibt den Leserinnen und Lesern nur zu wünschen: Bon appétit!