

Auf der Insel der pädagogischen Endzeitrhetorik
Lina Paulitsch in FALTER 38/2022 vom 23.09.2022 (S. 38)
Wenn das Festland untergeht, bleibt nur die Flucht aufs Wasser. Und wer genügend Geld hat, baut sich eine künstliche Insel. "Auf See" heißt Theresia Enzensbergers Debütroman. Er ist in naher Zukunft angesiedelt, im Europa knapp vor der Apokalypse. Die Autorin erzählt aus zwei Perspektiven: Yada, ein gerade erwachsen gewordenes Mädchen, das auf der menschengemachten Insel Vineta aufgewachsen ist. Und Helena, eine unberechenbare Berliner Künstlerin, die sich im Laufe des Buches als Yadas Mutter entpuppt.
Enzensberger, Jg. 1986, ist die Tochter des deutschen Schriftstellers Hans-Magnus Enzensberger. Ihre Sprache ist beschreibend, geradezu sachlich. Selten offenbart die Autorin die Emotionen ihrer Protagonistinnen. Yada schließt etwa das erste Kapitel mit der Feststellung: "Es war Zeit, mich in die mahlende Routine zu begeben, von der meine Tage umrissen waren."
Yadas lakonischer Charakter ist ihrem Aufwachsen geschuldet. Als Kleinkind holte sie der Vater auf die Insel, nahm sie der Mutter gewaltsam weg. Auf Vineta wuchs sie als einziges Kind auf. Sie lebte im Glauben, das Festland sei im Chaos versunken, die Mutter gestorben. Die restlichen Bewohner sind pseudo-visionäre Wissenschaftler und Rechtslibertäre, die Vineta als Steueroase schätzen. Yadas Stundenplan sieht vor: Meditation, Yoga/Therapie, Business Strategy, Leadership Skills. Das Buch folgt Yadas Ausbruch. Sie verliebt sich in die rebellische Yogalehrerin Rebecca, steht mit deren Hilfe einen Medikamentenentzug durch und schafft schließlich die Flucht aufs Festland.
"Auf See" ist der Entwurf einer Dystopie. In einer zerstörten Umwelt walzt der Kapitalismus jedes bisschen Menschlichkeit nieder. Aus manchen Schilderungen lässt sich die pädagogische Absicht der Autorin allzu offensichtlich herauslesen. Das schadet dem Roman. Denn Fantasie sollte auch in der Apokalypse ihren Platz haben.