

Das ewige Gezänk unter dem Regenbogen
Barbaba Tóth in FALTER 25/2023 vom 21.06.2023 (S. 17)
Jetzt hat der Richtungsstreit innerhalb der queeren Bewegung also auch Wien erreicht. Terfs ("Trans-ausschließende Radikalfeministen") wettern gegen "intersektionale" oder "transinklusive" Feministinnen, im konkreten Fall spielt sich der Konflikt auch noch innerhalb der Grünen ab.
Die Frage ist alles andere als neu. Wann ist eine Frau eine Frau? Terfs würden sagen: Es gilt das biologische Geschlecht. Keine sich als Frauen deklarierende Männer in unseren Umkleidekabinen! Intersektionale Feministinnen suchen den Schulterschluss mit trans-und intergeschlechtlichen Personen und heißen alle unter dem Regenbogen, dem zeitgenössischen Symbol des queeren "sexualdemokratischen Aufbruchs", willkommen.
Der Historiker Benno Gammerl hat ein äußerst lesenswertes Buch über solche mühsamen, aber unvermeidlichen Debatten geschrieben. "Queer: Eine deutsche Geschichte vom Kaiserreich bis heute" ist mehr als eine gut geschriebene Zeitreise zurück in die faszinierenden 1920er-und 1930er-Jahre, in denen viele Aspekte heutiger Konflikte schon angelegt sind.
Gammerl ist vor allem wichtig, aufzuzeigen, dass es bei der Emanzipation aller Geschlechter keinen linearen Fortschritt gibt. Kein "Damals war alles schlecht, heute ist es viel besser und freier". Sondern dass Toleranz, Emanzipation und Normalisierung oft mit gleichzeitiger Stigmatisierung und Backlashes einhergingen -und -gehen. So wie gerade eben. Erst vergangenes Wochenende feierte Wien die Pride Parade, einige hundert Kilometer weiter, in Ungarn, ermöglicht es ein neues Gesetz, gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern anonym den Behörden zu melden.
Viel Raum gibt Gammerl, der als Professor Gender-und Sexualitätengeschichte am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz lehrt, den verschiedenen Strömungen innerhalb der Schwulen-und Lesbenbewegung und ihren Rivalitäten untereinander. Sozialer Status, Religion, Selbstverständnis der eigenen Homosexualität: Schon im Kaiserreich gab es ein "alltägliches Durcheinander zwischen Mut, Angst und Vergnügen". Ein beliebtes Motiv in der damaligen Literatur war etwa der gediegene Herr, der durch die Liebe zu einem jüngeren Mann einfacher Herkunft in Bedrängnis gerät. Solche Klischees leben in den biederen, strengen Nachkriegsjahren wieder auf.
Dazwischen aber faszinieren vor allem die "Goldenen Zwanziger", die Berlin zur Hauptstadt der Freilebigkeit machten. Es gab die Transvestiten-Zeitschrift Das 3. Geschlecht und erste geschlechtsanpassende Operationen. Menschen, die das gleiche Geschlecht bevorzugten, fanden sich in "weißen Ehen" zusammen, progressive heterosexuelle Paare probierten in sogenannten "Kameradschaftsehen" den Spagat zwischen Treue und Freiheit aus. Dreh-und Angelpunkt war das weltweit berühmte Institut für Sexualwissenschaft des Arztes Magnus Hirschfeld (1868-1935). Der (heimlich) schwule Arzt entwickelte die Theorie der sexuellen Zwischenstufen.
Mit den Nazis endete diese erste Hochblüte der Queerness, Homosexuelle wurden in Konzentrationslagern ermordet. Erst in den 1970er-Jahren gewann die Schwulen-und Lesbenbewegung im Zuge der anderen neuen sozialen Bewegungen wieder an Kraft. Überraschenderweise war die rechtliche Anerkennung in der kommunistischen DDR früher verwirklicht als in Westdeutschland, auch wenn sogenannte "Abweichler" gesellschaftlich stigmatisiert waren.
Aber erst 1994 verschwand der Paragraf 175, der schwulen Sex bestrafte, aus dem Strafgesetzbuch. Er war 1872 für das Reichsstrafgesetzbuch festgeschrieben worden. Gammerl konzentriert sich in seinem Buch auf Deutschland, aber auch aus österreichischer Sicht liest man es gerne, weil queeres Leben im deutschsprachigen Raum schon damals - notgedrungen -grenzüberschreitend war. Denn wer anders, freier leben wollte, suchte nach Gleichgesinnten an Orten, die Gesetze liberal auslegten. Damals wie heute.