

Von Indien aus die Welt revolutionieren
Kirstin Breitenfellner in FALTER 42/2025 vom 15.10.2025 (S. 45)
Yoga entkommt man nicht. In jeder Straße residiert ein Studio, das Internet quillt über mit Videos und die Buchhandlungen sind voller Yogabücher. Braucht es da noch mehr? Ja, und zwar eins zur Beantwortung der Frage, wie es so weit kommen konnte. Dazu treten zwei Bücher an, die kaum unterschiedlicher sein könnten. Den Beginn machte im Frühsommer Gunda Windmüllers „Yoga. Wie es wurde, was es ist. Kulturgeschichte eines globalen Phänomens“. Und soeben erschien Stefan Weidners „Yoga oder die sanfte Eroberung des Westens durch den Osten“.
Windmüller liest sich knackig und bemüht sich, die Leserschaft nie zu überfordern. Sie erklärt die Quellen des Yoga sowie deren Rezeption im Westen, besucht Studios und Forschungsstätten rund um die Welt und konzentriert sich darauf, zu entlarven, dass das Yoga, das heutzutage in den meisten Studios geübt wird, nicht auf einer jahrtausendealten Praxis beruht, sondern in den letzten 200 Jahren in einer Interaktion zwischen Orient und Okzident entwickelt wurde.
Da diese Tatsache beileibe nicht allen Yoga-Aficionados bekannt ist, lohnt sich die Lektüre allemal. Sie lässt allerdings einen schalen Geschmack zurück. Yoga – ein Fake, der nun von der rechten indischen Regierung unter Narendra Modi missbraucht wird? So scheint es bisweilen. Spannend wird es, wenn Windmüller zeigt, dass Yoga parallel zur Entstehung der westlichen Psychologie und des Sports rezipiert wurde. „Yoga ist eine soziale Praxis, entstanden aus einem Kulturtransfer“, definiert sie.
Während Windmüller, Literaturwissenschaftlerin, Journalistin und seit 2021 selbst Yogalehrerin, vornehmlich die Widersprüche und Absurditäten des aktuellen Yoga abbildet, begibt sich Stefan Weidner, studierter Islamwissenschaftler, in die Tiefe der Geschichte. Obwohl nicht im Titel als solche ausgepreist, stellt seine Monografie eine veritable Kulturgeschichte dar, für die es zwar den langen Atem braucht, die einen aber dafür mit überraschenden Einsichten belohnt. Etwa dass Yoga über den „Umweg“ der Sufi-Kultur in den Westen fand.
Dabei schärft Weiner den Blick dafür, wie Kulturen interagieren und dabei voneinander profitieren. Das heutige Yoga bedeutet für ihn also mitnichten, wie heute manchmal insinuiert, eine kulturelle Aneignung. Es entstand aus einem Wissenstransfer in beide Richtungen. Eine Schlüsselrolle dabei spielte der Starauftritt des hinduistischen Mönchs Vivekananda (1863–1902) bei der Weltausstellung in Chicago im Jahr 1893.
Yoga – damals noch als reine Religionsphilosophie bzw. Meditation propagiert – „wurde zum Zauberwort, zur Chiffre für eine verjüngte, zeitgemäße indische Frömmigkeit“. Es war kompatibel mit dem religiösen Kosmopolitismus, den etwa Helena Blavatskys Theosophische Gesellschaft als Gegenpart zum Kapitalismus promotete.
Die frühe Yoga-Mode im Westen wirkte, so Weidner, auf Indien zurück und befreite es „aus dem Würgegriff des Kolonialismus“. Den finalen Kampf dafür führte Mahatma Gandhi, er ließ sich dabei von der Yoga-Definition der Bhagavad Gita leiten, dem nicht nur im Westen einflussreichsten altindischen Text. Die reaktivierte Philosophie des Yoga gehört deswegen zu den Gründungsmythen des von Briten und Indern ersonnenen „nichtmuslimischen Indiens“ – ein zweischneidiges Schwert.
Von Indien aus trat sie an, die Welt zu revolutionieren. Das war möglich, weil Yoga eine überzeugende Antwort auf die Probleme der Jetztzeit darstellt – zumindest, nachdem das während der Kolonialzeit von Briten wie Indern verachtete körperliche Hatha-Yoga rehabilitiert worden war. Die Körperstellungen wurden zur Hauptsache. Und das „religiös verwaiste Bedürfnis nach Geistigem, Höherem“ paarte sich gekonnt „mit dem nach Nützlichem, Alltäglichem, Körperlichem“. Der Hatha-Yoga-Boom war geboren.
Zwei gewinnbringende, spannende Lektüren, empfohlen nicht nur für Yoga-Übende
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