Mein Nachbar auf der Wolke

Slowenische Lyrik des 20. und 21. Jahrhunderts
312 Seiten, Hardcover
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ISBN 9783446276314
Sprache Deutsch, Slowenisch
Erscheinungsdatum 24.07.2023
Genre Belletristik/Lyrik
Verlag Hanser, Carl
Herausgegeben von Matthias Göritz, Amalija Maček, Aleš Šteger
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Carl Hanser Verlag GmbH & Co.KG
Vilshofener Straße 10 | DE-81679 München
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Kurzbeschreibung des Verlags

Eine umfassende Anthologie der slowenischen Lyrik von der Jahrhundertwende bis in unsere Tage

Slowenien ist ein kleines Land mit einer großen Poesie. Bei unserem Nachbarn auf der Wolke war Dichten seit jeher Überlebensstrategie: vom avantgardistischen Genie Srečko Kosovel, der bereits Anfang des 20. Jahrhunderts die Krise Europas prophezeite, über den katholischen Partisanen Edvard Kocbek, bis hin zur Poesie der jungen Lyrikszene, die zwischen Techno und grenzüberschreitenden Revolutionen ihren Ausdruck findet. Zum ersten Mal stellt eine zweisprachige Anthologie den ganzen Reichtum der slowenischen Poesie vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart vor. Sie zeichnet nicht nur die literarischen Strömungen nach, sondern würdigt auch die vielfältigen sprachlichen Minderheiten.

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ISBN 9783446276314
Sprache Deutsch, Slowenisch
Erscheinungsdatum 24.07.2023
Genre Belletristik/Lyrik
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Herausgegeben von Matthias Göritz, Amalija Maček, Aleš Šteger
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FALTER-Rezension

„Der Mensch ist nicht symmetrisch“

Erich Klein in FALTER 42/2023 vom 20.10.2023 (S. 15)

Die slowenische Literatur ist vergleichsweise jung und klein in jenem Sinn, den einst Gilles Deleuze Franz Kafka attestierte. „Kleine Literatur“, das bedeutet aufmüpfig und abwegig zu sein, im Unbekannten unterwegs.

Was die lyrische Produktion des Zwei-Millionen-Einwohner-Landes am Südrand der Alpen betrifft, so handelt es sich allerdings um eine Supermacht. Alljährlich erscheinen 300 Gedichtbände. Anlässlich der diesjährigen Frankfurter Buchmesse beauftragte die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung das Trio Matthias Göritz, Amalija Maček und Aleš Šteger mit der Herausgabe einer zweisprachigen Anthologie slowenischer Lyrik des 20. und 21. Jahrhunderts. Höchst emphatisch heißt es im Nachwort von „Mein Nachbar auf der Wolke“: „Die slowenische Geschichte werde, so formulierte es Peter Handke einmal, nicht anhand ihrer Kriegshelden, sondern anhand ihrer Dichter geschrieben.“ Neben 16 Dichterinnen und Dichtern mit biografischen Porträts finden sich da „Themengebiete“ wie „revolte & kampf“, „wort & schweigen“, „gott & danach“, oder „tiere & pflanzen“.

Den Anfang macht in der Kategorie „wasser & erde“ der große literarische Performer Dane Zajc: „Das Wasser erzählt aus dem Kopf / eine Geschichte ohne Geschichte. / Ein Gedicht ohne Worte, / geschrieben in Wasser. / In unleserlichen Buchstaben. / Gesprochen von einer Zunge, / die es nicht gibt im Mund, den es nicht gibt. / Kein Mund. Wassermund im Wasser.“

Als Ahnherr der modernen slowenische Lyirk gilt heute Srečko Kosovel (1904–1926), ein slowenischer Rimbaud, der alle Formen literarischer Moderne vom Dadaismus bis zur visuellen Poesie durchspielte, um knapp vor seinem frühen Tod in die gefährlichen Gefilde des politischen Engagements zu geraten.

Im Kapitel „revolte & kampf“ führt der Weg von Sloweniens Lyrikern durch den Zweiten Weltkrieg mit zerrissenen Leibern und Blut, das in Strömen fließt, zu „roten Straßen“ und zu Titos Partisanen, weiter zu den ideologischen Kämpfen der 1960er-Jahre bis in die jüngste Vergangenheit des Krieges, der 1991 zur Unabhängigkeit des Landes führte. Vermutlich ist davon die Rede, wenn Maruša Krese (1947–2013) (siehe auch Seite 14) dichtet: „Taxis, Blauhelme, Grenzen, Soldaten / sind mein Heim geworden. / Im Süden blühen Kirsch- und Mandelbäume, / in der Stadt der Stille erwacht die Sonne. / Das Meer ist fremd und fern, der Wind entsetzlich.“

Die politisch herausragende Figur unter Sloweniens Dichtern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist Edvard Kocbek (1904–1981), von dem auch der Titel der Anthologie stammt. In seinen Gedichten zeigen sich sämtliche Verwerfungen der neueren slowenischen Geschichte. Als „sozialistischer Katholik“ zieht er auf Seiten der Republikaner in den Spanischen Bürgerkrieg, nach 1945 wird er von Tito zum Minister für Slowenien ernannt, in der Folge aber unter Hausarrest gestellt. Die Frage „Wer bin ich“ als Gedichttitel liegt auf der Hand: „Ich aber knie mittags / mitten in der Wüste und schreibe / das Diktat des Schweigens in den Sand, / gegen Abend knirsche ich / im gefährlichen Riss / des Turms zu Babel, / um Mitternacht aber lege ich mich ergeben / zwischen die goldenen Schwerter / auf Hamlets Terrasse nieder.“

Als Lyriker fast das Gegenteil ist der schon genannte Dane Zajc (1929–2005), seinerzeit einer der größten literarischen Performer Europas, der nicht zufällig als „Schamane des Worts“ tituliert wurde. Auch Zajc wurde im sozialistischen Jugoslawien mit allerlei Verboten belegt, sein literarischer Aufstand erfolgte mit den Mitteln der Mythologie und der Archaik. Da ist von Schlangentötern die Rede, von Skorpionen oder einem großen schwarzen Stier: „Der große schwarze Stier brüllt in den Morgen. / Großer, schwarzer Stier, wen rufst du?“ Das Gedicht endet apokalyptisch: „Der große schwarze Stier brüllt in den Morgen. / Die Sonne schleift im Osten / ein gleißendes Fleischerbeil.“

Als Svetlana Makarovič (Jg. 1939), heute die Grande Dame der slowenischen Poesie, die Szene betrat, war der sozialistische Realismus fast nur noch Legende; das ermöglichte ihr, auch aus Volksliedern Impulse zu beziehen. „Die Nadel“ hebt an wie eine harmlose Ballade oder ein Kindergedicht: „Die Nadel Sie schreitet, schreitet hin und her, / die stille Nadel leicht und fein, / sie näht mit kaum sichtbarem Faden / den einen an den andern an. // Soll sie nur zusammennähen, mich mit dir, dich mit ihm.“

Den Anschluss slowenischer Lyrik an internationale Entwicklungen zeitgenössischer Dichtung trieb Tomaž Šalamun (1941–2014) voran. Befreiung des Wortes lautet sein Programm: „Tomaž Šalamun ist ein Scheusal. / Tomaž Šalamun ist eine Kugel, die in der Luft dahinflitzt. / Niemand kennt ihre Erdumlaufbahn.“ Auch wenn Šalamuns poetischer und intellektueller Kosmos weit über das kleine Land an der Adria hinausreicht und der Dichter vor keinerlei Sarkasmus zurückscheut, am Ende steht die Hauptstadt im Zentrum: „In Ljubljana aber sagen die Leute: sieh mal! / Das ist Tomaž Šalamun, in einen Laden ist er gegangen, / er kauft mit seiner Frau Maruška Milch, / um Milch zu trinken.“

In der slowenischen Lyrik gibt es heute alles, das Prosagedicht, die Referenz auf den eigenen Sprechakt, den zeitgenössische DichterInnen so gerne pflegen, Naturgedichte und Techno ebenso wie die Auseinandersetzung mit dem Gott aller avancierten Theorie, dem eigenen schwulen, queeren oder auch kriegsversehrten Körper. Dass es dafür Dichtung braucht, wusste schon Srečko Kosovel am Beginn des letzten Jahrhunderts: „Hej, grüner Papagei, / sag, wie ist’s in Europa. / Grüner Papagei erwidert / der Mensch ist nicht symmetrisch.“

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