

Identifikation einer Frau
Christina Vettorazzi in FALTER 31/2023 vom 04.08.2023 (S. 30)
Doris Knecht schreibt in ihrem neuen Roman über Mutterschaft und Autorinnenleben -eine selten erzählte Perspektive
Das ist ja ihre eigene Geschichte, oder etwa doch nicht? Doris Knecht arbeitet in ihrem neuen Roman ein autobiografisches Versteckspiel ein. Zahlreiche Gemeinsamkeiten verbinden sie mit der Protagonistin, die ebenfalls Mutter von Zwillingen, Autorin und ein wenig menschenscheu ist. "Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe" ist die Geschichte einer Frau, die sich nach dem Auszug ihrer Kinder wieder um sich selbst kümmern muss und die genau das vor ganz neue Herausforderungen stellt. Darüber beschließt sie schließlich auch zu schreiben.
Vergangenen Sommer veröffentlichte Knecht einen Essay im Sammelband "Wie wir schreiben wollen" (Hanser Berlin). Darin erklärt sie, dass das Autorenbild noch immer bei Günter Grass und Thomas Mann feststecke. Mütter mit dreckigen T-Shirts, die zwischen zwei Kapiteln noch versuchen, Hausarbeit zu erledigen, haben darin keinen Platz. Das müsse sich ändern. Denn "erst wenn wir Lebensumstände von Frauen in allen ihren Daseinsphasen nicht mehr als Abweichung empfinden: Erst dann werden wir auch die Literatur von Frauen ernst und wichtig nehmen und gerecht bewerten." Nun, ein Jahr später, hat Knecht ihren neuesten Roman veröffentlicht, der an die Argumente anknüpft, die sie in ihrem Essay ausführte. Dazu zählt vor allem die Annahme, dass sich weibliche Lebensrealitäten gut als Stoff eignen. Da erinnert sich beispielsweise die Ich-Erzählerin: "So habe ich es gemacht, ich habe mir zum 35. Geburtstag ein Kind gewünscht, und ich bekam zwei, noch bevor ich sechsunddreißig wurde. Damit war erstmal alles erledigt, auch die Karriere, obwohl ich so super organisiert bin."
Mit einem solchen Roman reiht sich Knecht in eine feministische Erzähllinie ein, der unter anderem auch Gertraud Klemm und Franka Frei angehören. Viel Raum geben diese Autorinnen ihrer eigenen politischen Linie und auch der Darstellung von gesellschaftlichen Problemfeldern. Ästhetische Merkmale von Literatur wie eine verfremdete Sprache, Mehrdeutigkeit sowie eine gewisse Distanz zu Meinungen sucht man in solchen Texten oft leider vergeblich. Stattdessen werden Standpunkte überdeutlich gemacht.
Hier ein Beispiel aus Knechts Roman: "Der Film handelt ausschließlich von Männern, es kommt nur eine Frau vor, sie ist zugleich sexy Beiwerk und Opfer, so war das damals, und Mila bemerkt es sofort und sagt, so einen Scheiß will sie nicht sehen, ich soll umschalten. Okay." Okay.
Irritierend wirkt, dass man der Erzählerin nicht so recht trauen mag, denn ihre Angaben erweisen sich öfters als wenig zuverlässig. Immer wieder blättert man zurück und fragt sich, ob das nun ein Fehler des Lektorats oder Absicht der Autorin ist, wenn beispielsweise Tochter Luzi plötzlich Max heißt oder eine verschimmelte Wohnung in einer späteren Passage als schön beschrieben wird.
Der Roman folgt weitgehend dem Programm, das Knechts Essay vorgibt. Es stellt sich allerdings die Frage, ob diese feministische Direktheit in Kombination mit speziell weiblichen Themen dazu beiträgt, dass Literatur von Frauen allgemein mehr Anerkennung bekommt.