

Kirstin Breitenfellner in FALTER 18/2024 vom 04.05.2024 (S. 30)
Bei einer Erdbevölkerung von neun Milliarden Menschen könnte man auf die Idee kommen, dass Einzelne wenig ausrichten können. Dass das nicht stimmt, beweisen Whistleblower immer wieder von Neuem. Whistleblower sind Personen, die Missstände öffentlich machen, die sie zumeist an ihrem Arbeitsplatz beobachtet haben, und zwar nicht zum eigenen Vorteil, sondern im Namen der Wahrheit. Dabei riskieren sie viel: ihren Job, ihr Ansehen, ihre Freiheit, ihre Gesundheit und manchmal sogar ihr Leben – und legen sich dafür auch schon einmal mit Regierungen an.
Ihre Geschichten sind nicht schön, warnen Benjamin und Christine Knödler im Vorwort ihres Sachbuchs „Whistleblower Rebels“, denn sie erzählen von „Ungerechtigkeit, Verfolgung, Strafe, Haft, von Mutlosigkeit, Ohnmacht und Verzweiflung“. Aber sie bedeuten trotzdem Hoffnung, denn sie beweisen, dass der Mut einzelner Menschen durchaus einen Unterschied machen kann. Auf jeden Fall sind ihre Geschichten lehrreich, denn an ihnen lassen sich grundlegende Fragen diskutieren wie: „Was ist Wahrheit? Gibt es gute und schlechte Geheimnisse? Wie gehen wir mit Fake-News und Verschwörungserzählungen um?“ Solchen Themen sind auch die zehn so informativen wie philosophischen Spotlights des Buches gewidmet.
Unter den 20 Menschen, die, so der Untertitel, „für die Wahrheit kämpfen“, befinden sich bekannte Persönlichkeiten wie Edward Snowden, Chelsea Manning oder Julian Assange, deren Geschichten hier in nuce rekapituliert werden, aber auch weniger bekannte wie Andrea Würtz, die einen deutschen Pflegeskandal aufdeckte, oder Reality Winner, die als Geheimdienstmitarbeiterin der russischen Einflussnahme auf den US-amerikanischen Wahlkampf im Jahr 2016 auf die Schliche kam und sie publik machte.
Die junge Frau mit dem sprechenden Vor- und Nachnamen wurde zu fünf Jahren und drei Monaten Haft verurteilt, betäubte sich im Gefängnis mit Drogen und dachte über Suizid nach. Seit dem Filmstart von „Reality“ im März dieses Jahres (Regie: Tina Satter) ist Winner auch hierzulande ein Begriff. Heute lebt sie wieder bei ihrer Familie. Winner hat persönlich einen hohen Preis gezahlt, aber sie hat etwas bewirkt: „Die Präsidentschaftswahlen 2020 gelten als die sichersten in der US-amerikanischen Geschichte.“
Manchen gelten Whistleblower als Störenfriede und Wichtigtuer, für andere sind sie hingegen Aufklärer und Helden. Auf jeden Fall folgen sie ihrem Gewissen, mit dem Ziel, „sich morgens noch in den Spiegel schauen“ zu können. Benjamin und Christine Knödler gehören zu ihren Bewunderern. Obwohl sie sich manchmal gezwungen fühlen, illegal zu handeln, haben Whistleblower für sie eine gesellschaftliche Funktion. Auch wenn ihnen anfangs oft nicht geglaubt wird, verändert sich meistens mit der Zeit der Blick auf sie.
Dadurch, dass sie andere Menschen wachrütteln, ermutigen sie zu Zivilcourage, verteidigen und gestalten die Demokratie, meinen die Autoren. „Was Whistleblower aufdecken, ist von Menschen gemacht. Darum kann es auch von Menschen verändert werden.“ Die Botschaft dieses so spannenden wie erhellenden Buches lautet demnach: Bitte mischt euch ein!