

Hilfe - die Arbeit ist überall!
Ulrich Rüdenauer in FALTER 40/2025 vom 01.10.2025 (S. 32)
Die Arbeitswelt, wenn man sie als Subjekt betrachtet, ist nicht unbedingt vom menschenfreundlichsten Schlag. Wenn Heike Geißler sie direkt anspricht -von Erwerbstätiger zu strukturellem Problemfall -, dann gibt es Missstimmung. Geißler stammt aus einer DDR-Arbeiterfamilie, die nach der Wende nicht zu den Vereinigungsgewinnlern gehörte. Vor einigen Jahren erzählte sie in einer literarischen Reportage von ihrer Zeit als Saisonkraft bei Amazon. Sie steht also nicht im Verdacht, besonders romantische Vorstellungen von modernen Beschäftigungsverhältnissen zu haben.
So ist ihr Essay "Arbeiten" zunächst der assoziative Versuch, verschiedenste mit der Arbeit verbundene und lang eingeübte Praktiken und Ideologismen zu hinterfragen: vom elterlichen "Ohne Fleiß kein Preis"-Ethos über den Zusammenhang von Leistung, Konsum und Wachstum bis hin zum Empfinden, dass in der beschleunigten Katastrophengegenwart das Am-Ball-Bleiben, die Vermeidung von Panik oder das Entwickeln tröstender Durchhaltekonstruktionen schon anstrengend genug sind. "Alles ist Arbeit."
Aber nicht alle Arbeit ist gleich. Während Geißler am Schreibtisch über die Probleme der Welt sinniert, beschleicht sie ein schlechtes Gewissen, wenn Handwerker in ihrer Wohnung neue Fenster einbauen. Die Arbeitswelt, die Geißler zwischendurch in charmanten Briefen direkt adressiert, als ließe sie mit sich reden, habe sich nicht allzu sehr verändert, teils sogar verschlechtert. Eine radikale Umkehr zu denken, bleibt utopisch. Zumindest aber beim Ich könnte man anfangen. So ist Geißlers Essay mehr noch als eine Abrechnung mit der Arbeit unter neoliberalen Vorzeichen eine Reflexion über das eigene Tun, das zuerst aus "zuschauen, hinsehen, beobachten" besteht. Und daraus, nicht "in zu viele Konsumfallen zu tappen","mich nicht durch Einzelfälle ablenken zu lassen und dennoch so viele Einzelne wie nur möglich zu sehen. Meine Arbeit ist es, da zu sein".