

Erbarmen? Gibt es nicht
Donja Noormofidi in FALTER 12/2025 vom 21.03.2025 (S. 31)
Lou hat eine Schwäche: das Glücksspiel. Und an diesem Tag wird hoch gepokert. Endlich bekommt er ein gutes Blatt. „Lou ist schnell, und er zeigt auch Leidenschaft, wenn er dabei ist, ins Verderben zu stürzen“, schreibt Roberto Saviano. Lou kramt in seiner Tasche – kein Geld mehr. Also legt er ein Foto seiner Frau auf den Tisch, sie ist nun der Einsatz. Doch seine Gegner haben bessere Karten, Lou hat „jetzt ein großes Problem. Und seine Frau zwei.“
Mafia-Experte Saviano stellt diese Episode seinem neuen Buch „Treue“ voran, um die Werteskala der Mafia auszuloten. „Treue“ handelt von Schicksalen realer Frauen innerhalb der Clans. Schnell wird klar: Sie sind meist nicht Protagonistinnen, oft Opfer, Trophäen oder Gebärmaschinen, idealerweise für männliche Nachkommen, manchmal auch Henkerinnen. Durch die Heirat gehen sie oft nur in das Eigentum eines anderen Mannes über. Und alle sind sie gefangen in der „verwerflichen kriminellen Logik der Mafia“.
Lou macht nur Gelegenheitsjobs für die Mafia. Aber der Bruder seiner Frau ist Polizist und befreundet mit einem hohen Tier der italo-amerikanischen Mafia. Dieses hohe Tier lässt Lou nun töten. Doch um die Frau geht es dabei nicht, Lou ist ein Risiko geworden: „Ist es so weit gekommen, dass man seine Frau verkauft, kann man jeden verkaufen, auch seine Kumpane, den Boss, die ganze Familie, die Bankgeheimnisse.“
Ein Kapitel widmet Saviano Maria Concetta, sie stammt aus einer Mafia-Familie. Als ihr Mann im Gefängnis sitzt, beginnt sie eine Beziehung mit einem anderen Mann. Ihr Vater und ihr Bruder verprügeln sie daraufhin derart, dass eine Rippe bricht. Da geht Maria zur Polizei und packt aus. Sie kommt ins Zeugenschutzprogramm. Doch ihre Mutter erpresst sie mit den Kindern, sie müsse zurückkommen. „Entweder mit uns oder mit denen.“ Maria kehrt zurück, widerruft ihre Aussagen, findet aber keine Vergebung.
Der Autor ist Experte auf dem Gebiet der Mafia: Seit seinem 2006 erschienen Buch „Gomorrha“ lebt er unter Polizeischutz. Als einer ihrer schärfsten Kritiker geriet er auch in das Visier der rechten italienischen Regierung, die ihn etwa nicht als Vertreter auf der Frankfurter Buchmesse sehen wollte. Seine Informationen für das neue Buch bezieht Saviano unter anderem aus Gerichtsakten, Interviews und Berichten von Aussteigern, die mit der Justiz kooperieren.
Saviano erzählt etwa auch die Geschichte der TikTok-Königin Sabrina Durán Montero. Sie stammt aus einer Gegend in Chile, in der die Leute so arm sind, dass sie „basuco“ nehmen – den Abfall, der bei der Herstellung von Kokain übrigbleibt. Sabrina schafft es, sich ein kleines Dealer-Netzwerk aufzubauen und setzt sich auf TikTok in Szene. Bald hat sie eine halbe Million Follower. Doch auch ihre Geschichte endet tragisch: Sie wird schließlich auf offener Straße hingerichtet.
Die Mafia kennt kein Erbarmen, das zeigt Saviano in „Treue“ einmal mehr. Sein Buch ist fesselnd wie ein Kriminalroman – leider handelt es sich um True Crime.