

Wie Biden versuchte, das Schlimmste zu verhindern
Tessa Szyszkowitz in FALTER 47/2024 vom 22.11.2024 (S. 20)
Zuerst der lustige Teil: Bob Woodward erzählt, wie er ein Interview mit Donald Trump aus dem Jahr 1989 verloren hatte. Die kleine Audiokassette aus diesem Jahr kramte Amerikas berühmtester Aufdeckerjournalist erst 2016 wieder hervor, als der Immobilienjongleur ins Weiße Haus gewählt wurde. Und was sagte Trump darin? Er sprach über einen Boxkampf und darüber, wie man gewinnt. Und zwar: "Indem man mit den Schlägen mitgeht."
Den größten Boxkampf der Welt, den ums Weiße Haus, hat Donald Trump jetzt zum zweiten Mal gewonnen. Woodward lässt sein Buch "Krieg" - das er unter kräftiger Mithilfe seiner Assistentin Claire McMullen verfasst hat -am 6. Jänner 2021 im Speisezimmer neben dem Oval Office beginnen. Donald Trump sieht fern. Stundenlang sieht er zu, wie die Proud Boys und rechtsradikale Schläger das Capitol stürmen. Er tut nichts. Erst nach drei Stunden und sieben Minuten fordert er seine Leute in einem Tweet auf, nachhause zu gehen.
Darfs ein bisserl Mord sein?
Woodward aber geht es nicht um Trumps "Insurrection" vom 6. Jänner 2021. Er beschreibt Joe Bidens Präsidentschaft. Wie der erfahrene Demokrat mithilfe von Geheimdiensten und dem diplomatischen Apparat versucht hat, die Eskalation mit Russland und im Nahen Osten zu verhindern. Das Schöne an Woodwards Büchern ist, dass er seine Leser auf dem Sofa im Oval Office Platz nehmen lässt. Von dort aus sieht Weltpolitik noch irrwitziger aus als im Fernsehen.
Joe Bidens Versuch, "zu einer stabilen und berechenbaren Vorgehensweise mit Putin finden", steht am Anfang seiner Präsidentschaft. Wie aber sollte das gehen, fragte sich sein Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan, der auf Satellitenbildern gerade gesehen hatte, dass Putin 110.000 Soldaten an die Grenze zur Ukraine verlegt hatte.
CIA-Chef William Burns -einer der schlauesten US-Diplomaten, der Putin noch aus seiner Zeit als Botschafter in Moskau kennt -ist überzeugt, dass er einen Krieg plant. Burns fährt im Jänner 2022 zu Wolodymyr Selenskyj nach Kiew, erklärt ihm, wie die Russen ihn ausschalten wollen, und rät ihm, seine Bodyguards genau zu überprüfen - auch Mord sei nicht ausgeschlossen.
Auch die CIA versagte am 7. Oktober Im zweiten Teil zeichnet Woodward die Schreckenstage um den 7. Oktober 2023 nach. Israel wird vom Hamas-Angriff unvorbereitet getroffen. Nicht nur die israelischen Sicherheitsdienste haben furchtbar versagt. Auch in Washington hat man die monatelangen Vorbereitungen der Hamas verschlafen. Woodward schreibt: "Die US-Geheimdienste hatten sich stärker auf die Hisbollah konzentriert."
Gegen Ende bindet Woodward die Kriege in der Ukraine und in Gaza mit dem US-Wahlkampf 2024 zusammen. Kleine Anekdoten machen das Buch aus: Wie Trump Anfang 2024 einen Mitarbeiter vor die Tür seines Büros in Mar-a-Lago schickt, um in Ruhe mit Putin zu telefonieren.
Seinem Sicherheitsberater Jake Sullivan sagte Biden im Herbst 2021, dass er auf keinen Fall US-Soldaten in die Ukraine entsenden wolle. Am Ende, schreibt Woodward, habe Präsident Biden "mit einer auf Geheimdienstarbeit gestützten Außenpolitik" eine weitere Eskalation verhindert.
Leider haben nicht genügend Trump-Wähler den Wälzer gelesen. Sie glaubten seinem populistischen Versprechen, den Krieg in der Ukraine innerhalb 24 Stunden beenden zu können.