

"Ficken wir jetzt?"
Gerhard Stöger in FALTER 6/2025 vom 05.02.2025 (S. 29)
Eine der erfolgreichsten Rockbands des Landes kommt in die ostdeutsche Provinz. Gleich drei große Konzerte sollen nbl/nbl (sprich: Nabel Nabel) spielen, Zehntausende fiebern dem Ereignis entgegen. Doch über die martialische Truppe und ihren exzentrischen Sänger Emil alias Maler Meister bricht ein massiver Shitstorm herein.
Da sind einmal missverständliche Interviewaussagen zu Ausschweifungen bei den Aftershow-Partys der Band, und dann taucht auch noch eine anonyme Anzeige auf: Eine junge Frau berichtet, wie die anfänglich einvernehmliche Annäherung in eine Vergewaltigung durch zwei Musiker der Gruppe mündete.
Mittendrin bemüht sich die Tourmanagerin Miriam ums Troubleshooting. Krisen-PR ist gefragt; ein Awareness-Team will organisiert werden, vor allem für medienwirksame Fotos; die Polizei ist abzuwimmeln -und die Band von weiterem Unfug abzuhalten.
Missbrauch im deutschen Rock also. Klingt vertraut? Tja, da war was - und dann aber doch nicht. Die Berliner Band Rammstein sah sich 2023 mit massiven Vorwürfen konfrontiert. Über ein umfassendes Rekrutierungssystem würden junge Frauen für die Partys nach den Konzerten organisiert werden, hieß es. Und dass nicht alles, was hinter der Bühne vor sich gehe, ausschließlich auf Freiwilligkeit basiere.
Juristisch blieb davon nichts übrig, und doch bereitet der mutmaßliche Fall Rammstein den Boden, auf dem Bela B Felsenheimers Roman "Fun" seine Wirkung entfaltet. Auch wenn sich der Autor von etwaigen Parallelen distanziert.
Als Gründungsmitglied der Ärzte ist Felsenheimer selbst Teil einer Berliner Rockband mit Superstarstatus. Nebenbei veröffentlicht der 62-Jährige Soloalben, agiert als Schauspieler und Hörbuchsprecher und ist nun auch Romanautor. War sein Debüt "Scharnow" 2019 noch ein schillerndes Stück Schmutz-und-Schund-Literatur, verfolgt "Fun" ein gesellschaftliches Anliegen.
Der Missbrauch auf dem potenziell toxischen Feld von Fan-Liebe und so abgestumpftem wie triebhaftem Star-Gehabe mag im Zentrum stehen, aber "Fun" erzählt noch andere Geschichten. Jene des smarten, erfolgreichen Onlineapothekers Guido etwa -seine Frau kennt nbl/nbl von früher, seine Tochter besucht eines der Konzerte -, der eine Parallelexistenz als schwanzgesteuerter Ungustl hat.
"Männer sind Schweine" lautet, mit einem alten Ärzte-Hit gesprochen, die eine zentrale Aussage des Romans, dem ein Zitat der radikalen Feministin und Andy-Warhol-Attentäterin Valerie Solanas vorangestellt ist: "It's often said that men use women. Use them for what? Surely not pleasure."
Die andere aber macht bei allen Ambivalenzen der handelnden Figuren und dem Verzicht auf simple Moralisierungen doch unmissverständlich klar: Wir haben 2025. Männer wie Guido oder einige der nbl/nbl-Mitglieder mögen das noch nicht gecheckt haben, aber Frauen wissen sich zu wehren. Ihre Siege sind vielleicht schmerzvoll, aber es sind dann eben doch: Siege.
Herrlich etwa, wie das vermeintliche Groupie den Sänger nach dem Konzert in der Garderobe mitten im Smalltalk mit den Worten "Ficken wir jetzt?" überrascht -um den scheinbar überlebensgroßen Star plötzlich ganz klein zu machen: "Das ist er also, der Schwanz, der so viel anrichten kann. Er wirkt gar nicht so übermächtig auf mich."
Nicht jede Figur hat die wünschenswerte Tiefe, und so manche Formulierung ist unnötig umständlich. Weiter ins Gewicht fällt das nicht, glückt "Fun" doch die Verbindung von Problematisierung und guter Unterhaltung.