

Wenn Kachelbad kommt
Sebastian Fasthuber in FALTER 41/2019 vom 11.10.2019 (S. 19)
Multitalent Hendrik Otremba legt einen verstörenden Roman zum Thema Kryonik vor. Eine Begegnung
Für einen, der gerade eines der eigenwilligsten deutschsprachigen Erzählwerke der letzten Jahre vorgelegt hat, ist Hendrik Otremba erfrischend locker. Schon vor dem vereinbarten Gesprächstermin sitzt er im Schanigarten des Café Jelinek, erfreut sich an der Spätsommersonne und kann es kaum fassen, wie großartig seine ersten 24 Stunden in Wien verlaufen sind. Der Autor, Maler und Musiker, der als Sänger und Texter der Indieband Messer vorsteht, ist in der Stadt, um im Literaturhaus aus „Kachelbads Erbe“ vorzulesen. Anders als bei Tourneen mit seiner Band befindet er sich nicht nur auf der Durchreise, sondern hat sich ein paar Tage Zeit genommen. Er schwärmt von der im Absturzbeisl Schmauswaberl verbrachten Nacht und von den Wiener Plattenläden, wo er Gleichgesinnte fand, mit denen er sich über Pop-Solitär Scott Walker und Jazz-Solitär Peter Brötzmann – zwei seiner musikalischen Helden – austauschen konnte.
Was seine Selbstdefinition als multidisziplinärer Künstler betrifft, erweist sich der Mittdreißiger aus dem Ruhrgebiet ebenfalls als erfreulich unprätentiös. „Das Malen ist für mich eher eine Meditation, da komme ich zur Ruhe“, sagt er. „Bisher habe ich in dem Bereich keine großen Ambitionen, niemand erwartet etwas von mir.“ In die Rolle als Bandleader von Messer wiederum sei er hineingerutscht. Ursprünglich wollte er nur Bass spielen. Als ein Musiker zur Band stieß, der das Instrument viel besser beherrschte als er, wurde Otremba zum Sänger befördert.
Seine Hauptbeschäftigung ist jedoch das Schreiben. Bis vor kurzen umfasste das auch Artikel für das Ende letzten Jahres eingestellte Popdiskursmagazin Spex und literaturwissenschaftliche Arbeiten. Doch der Parallelslalom aus Popkritik und dem eigenen musikalischen Schaffen führte mitunter zu Interessenkonflikten, sodass er inzwischen nur noch Huldigungen verfasst.
Für eine akademische Laufbahn fehlte Otremba wiederum die Geduld: „Dieses Fußnoten-Ding interessiert mich nicht mehr. Aber ich war neulich auf der Gartenparty eines meiner ehemaligen Professoren und fand cool, wie aufgeregt und obsessiv die jungen Leute sich über ihre Themen unterhalten können. In der Wissenschaft sind oft große Gefühle im Spiel, das findet man sonst nur unter Plattensammlern.“
Als Hendrik Otremba in den vergangenen zwei Jahren an seinem Roman „Kachelbads Erbe“ tüftelte, gewann das literarische Schreiben naturgemäß die Oberhand. Ein solches Romanprojekt ist nichts, was man in überschüssiger Tagesfreizeit mal eben so hinschreibt. Dennoch fügte es sich für den Autor, dass er für seine Kunst nicht leiden muss: „Das Romanschreiben fühlt sich nicht wie Arbeit an. Ich bin, was das betrifft, ganz demütig und freue mich, dass das mein Beruf ist. Ich würde es wahrscheinlich aber auch machen, wenn ich damit keinen Cent verdienen würde.“
Das auch in der veröffentlichten Form einigermaßen umfangreiche „Kachelbads Erbe“ – die erste Fassung war noch um ganze 150 Seiten länger – präsentiert sich zunächst als spannendes Gedankenexperiment und erzählt von Bestrebungen, die Sterblichkeit abzuschaffen. Tatsächlich beschäftigen sich damit in den USA und in Russland seit Jahrzehnten mehrere Institute für Kryonik. Präparierte Leichen warten dort tiefgekühlt auf eine Zukunft, in der Medizin und Technik ein Leben ohne zeitliche Begrenzung ermöglichen.
Im Gegensatz zu Don DeLillos Roman „Null K“ (2016), der ebenfalls in dieser Welt spielt, ist „Kachelbads Erbe“ nicht im Silicon Valley der Jetztzeit angesiedelt, sondern im Kalifornien und New York der 1980er. Ein weiterer Unterschied: Otrembas Figuren sind gestrandete Dichterseelen und Verzweifelte, die auf ein besseres Leben in der Zukunft hoffen, keine schwerreichen Narzissten, die glauben, dem Tod ein Schnippchen schlagen zu können.
Auf das Thema Kryonik ist der Autor zufällig gestoßen. Er selbst kann der Vorstellung ewigen Lebens rein gar nichts abgewinnen: „Vielleicht sage ich in zehn Jahren etwas ganz anderes, aber ich freue mich richtig darauf, eines Tages ein alter Mann zu sein. Und irgendwann muss es auch mal gut sein!“
Recherchiert hat der Autor gründlich. Fast alles im Roman ist entweder schon Realität oder zumindest aus wissenschaftlicher Sicht möglich. Um sich abzusichern, wurde Otremba sogar Mitglied der Deutschen Gesellschaft für angewandte Biostase. Bei der Jahreshauptversammlung lernte er Menschen kennen, die bereits einschlägige Verträge mit Kryonik-Anbietern in den USA abgeschlossen haben: „Der Bestatter in Deutschland präpariert sie so, dass sie überführt und dort eingefroren werden können.“
Wirklich verblüfft war der Autor über den Umstand, wie sehr einige dieser Leute den Figuren in seinem Roman ähnelten, der zu dem Zeitpunkt schon so gut wie fertig war. Die Realität erwies sich als noch wilder als die Fiktion: „Der Gründer dieser Gesellschaft ist ein verrückter Typ mit langen Haaren und kaputten Zähnen, ein echter Frankenstein-Verschnitt. Inzwischen hat er sich abgespalten und sein eigenes Ding gegründet. Es geht um Veruntreuungen und Bitcoins. Ich fühlte mich in meiner Arbeit bestätigt. Manchmal imitiert das Leben eben wirklich die Kunst.“
Die Handlung von „Kachelbads Erbe“ dreht sich um eine auf ziemlich wackeligen Beinen stehende Firma, die von einem undurchsichtigen Asiaten geführt wird. Als dessen Handlanger und Mädchen für alles fungiert der Titelheld. Zu seinen Aufgaben zählt es, Verstorbene auf schnellstem Wege ins Hauptquartier und auf Tiefkühltemperatur zu bringen.
Kachelbad steht im Zentrum des Romans, wobei der deutsche Einwanderer als Figur bis zuletzt rätselhaft bleibt. Seine Vorgeschichte oder die Umstände, die dazu führten, dass er vernarbte Arme hat, werden nicht verraten. Der Autor beteuert, es selbst nicht so genau zu wissen: „Kachelbad bleibt ein Gespenst, vielleicht ist er mir gerade deshalb so ans Herz gewachsen. Es könnte gut sein, dass er wieder einmal in einem Roman von mir auftaucht.“
Es sind nicht zuletzt diese Leerstellen und Uneindeutigkeiten, die das Buch aus der Unmenge an brav runtergeschriebenen Neuerscheinungen herausragen lassen. Otremba arbeitet nicht nach Schema F und erzählt aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Unter anderen kommen eine Mitarbeiterin Kachelbads, dessen einstiger New Yorker Liebhaber sowie ein schwer suchtmittelaffiner Schriftsteller zu Wort, der nicht von ungefähr William Burroughs gleicht. Auch der Cut-up-Pionier zählt zu Otembras Hausgöttern. Bei einem Arbeitsaufenthalt in New York wollte dieser den fensterlosen Bunker besuchen, in dem der Dichter in der Lower East Side von Manhattan lebte. Allein: „Da ist jetzt ein Yoga-Retreat drin.“
Umso froher war er, als er kürzlich eines seiner Bilder über den großen Teich verkaufen konnte: „Das hängt jetzt an einer Wand in Brooklyn, eine schöne Vorstellung. Wobei es mich wundert, dass Leute Arbeiten von mir im Wohnzimmer haben wollen. Ich finde meine Bilder eher beunruhigend.“
Dieses Attribut gebührt auch „Kachelbads Erbe“.