

Einblicke in das Epizentrum der Corona-Pandemie
Juliane Fischer in FALTER 40/2020 vom 30.09.2020 (S. 32)
Der einsame Straßenkehrer versieht pflichtbewusst seinen Dienst. Er vermittelt der Bevölkerung, zumindest der Schriftstellerin Fang Fang, Normalität und Gelassenheit in einer außergewöhnlichen Zeit. Die Stadt, in der Fang Fang die vergangenen 65 Jahre gelebt hat, wurde von einem Tag auf den nächsten als Epizentrum des Coronavirus bekannt. Als Wuhan am 23. Jänner für 76 Tage lang abgeriegelt wurde, befanden sich so viele Leute in der Megacity, wie Österreich Einwohner zählt.
„Wuhan Diary. Tagebuch aus einer gesperrten Stadt“ heißen die nun als Buch erschienenen Blogeinträge der Autorin während des ersten Lockdown des Jahres. „Ich habe keine Lösung dafür, ich zeichne nur auf“, lautet ihr Motto.
Es zählen die kleinen Dinge, die unmittelbar neben ihr passieren: der Alltag in der Wohnanlage, die Gespräche mit einem befreundeten Arzt, die Errichtung von Behelfskrankenhäusern, der Versuch, die Strategien der Regierung zu verstehen.
Nach der Entdeckung des Virus geschah 20 Tage lang wenig. Dann wurde die gesamte Stadt abgeriegelt. „Die Unfähigkeit und der Mangel an Courage der Beamtenschaft in der Provinz Hubei und der Stadt Wuhan werden auf einen Schlag offenkundig (…). Nur Phrasen dreschen, in politischen Schulungen sitzen und Leute daran hindern, die Wahrheit zu sagen, ist eben nicht genug“, moniert Fang Fang.
Ihre Einträge auf den chinesischen Diensten WeChat und Sina Weibo wurden regelmäßig gelöscht bzw. blockiert, aber gerade das schärfte ihr moralisches Bewusstsein. Sie verlangt Aufklärung und Verantwortungsbewusstsein von der Obrigkeit.
In ihrem Buch lernt man eine Menge über Zensur, das chinesische Verständnis von Staatstreue und eine nicht existente Kultur, mit Fehlern umzugehen.
Es vermittelt die zermürbende Eintönigkeit der Isolationssituation und zeigt gleichzeitig auf, wie autoritäre Krisenbewältigung funktioniert. Glücklicherweise gibt es immer noch systemkritische Menschen wie Fang Fang, die sich dagegenstellen.