

„Inge Bachmann spinnt größenwahnsinnig“
Erich Klein in FALTER 11/2016 vom 18.03.2016 (S. 7)
Der Germanist Joseph McVeigh zeigt die Wiener Jahre der Ingeborg Bachmann in einem recht nüchternen Licht
Ingeborg Bachmann ist 20, als sie im Oktober 1946 nach Wien kommt. Zwar hatte ein Klagenfurter Lokalblatt ihre Erzählung „Die Fähre“ gedruckt, aber die angehende Philosophiestudentin stellt literarische Ambitionen vorerst hintan. Nicht zufällig ist ein Kapitel im Buch des amerikanischen Germanisten Joseph McVeigh mit „Der schwierige Weg zum Leben in der Dichtung“ überschrieben. Von einigen Gedichten und dem Hörspiel „Ein Geschäft mit Träumen“ abgesehen schrieb die Bachmann in den sieben Wiener Jahren nichts, wofür sie heute geschätzt wird.
Spannend ist das Bild, das McVeigh in seiner Studie entwirft, dennoch: sieben Kapitel über Kultur und Politik im Wien der Nachkriegszeit, über den Kalten Krieg, biografische Geheimniskrämerei, Intrigen und Konflikte in der Literaturszene.
Im Philosophiestudium findet sich die Bachmann – finanziell vorerst von den Eltern unterstützt – erstaunlich schnell zurecht. Der Weg vom ehemaligen katholischen Widerständler Alois Dempf, der die metaphysische Überwindung des Nihilismus (sprich, des Nazitums) lehrt, ins antimetaphysische Lager der Neopositivisten erfolgt umstandslos pragmatisch. Viktor Kraft, einziger Erbe des „Wiener Kreises“ vor Ort, betreut Bachmanns Dissertation „Die kritische Aufnahme der Existenzphilosophie Martin Heideggers“, eine eher simple sprachphilosophische Kritik an Heideggers obskuren Wortkünsten.
Die Hoffnung auf eine Unikarriere indes erfüllt sich nicht, was bleibt, sind Jobs und Journalismus. Illustrer ist Bachmanns intellektuelles Umfeld: Paul Feyerabend, der spätere Star anarchistischer Wissenschaftstheorie, gehört ebenso dazu wie der aus dem KZ zurückgekehrte Neurologe Viktor Frankl, dessen Vorlesungen sie im Semester 1947/48 hört und der zum Freund und lebenslangen Berater in existenziellen Krisen wird.
Die wichtigsten Bachmann-Begleiter ab 1948 sind der Schriftsteller Hans Weigel und der aus dem kommunistischen Rumänien geflohene Dichter Paul Celan. Mit beiden verbindet Ingeborg Bachmann eine Liebesgeschichte. Die Affäre mit Celan, die üblicherweise nur mythischen Literaturkitsch generiert, wird von Joseph McVeigh gehörig dekonstruiert. Die Bedeutung Hans Weigels als Mentor der Bachmann ist seinem Urteil zufolge kaum zu überschätzen.
Bachmann lernte den Kritiker Weigel, der nach der Rückkehr aus dem Schweizer Exil im Sommer 1945 rasch zur einflussreichsten Figur der Wiener Literaturszene avancierte war, unter dem Vorwand kennen, ihn zu interviewen. Das fast bis zu Bachmanns Weggang aus Wien andauernde Liebesverhältnis ist geprägt von Unterwerfung und Emanzipationsversuchen und Enttäuschung. Als sie ihren begonnenen Roman „Stadt ohne Namen“ verwirft, tobt Weigel.
Anfang der 1950er-Jahre steuert der Ost-West-Konflikt einem ersten Höhepunkt entgegen. Zentraler Akteur der „Freien Welt“ ist Hans Weigel. McVeigh bezeichnet ihn als „ersten der proamerikanischen Kalten Krieger Wiens“ und verrät damit nichts, was nicht längst bekannt wäre.
Neu hingegen ist, dass Ingeborg Bachmann, Mitarbeiterin des amerikanischen Radiosenders Rot-Weiß-Rot, die Ansichten ihres Geliebten Weigel in Sachen Antikommunismus teilte. Es handelt sich um eine Wahrheit, die nicht nur der Germanistik zumutbar sein sollte, die sich gerne in vermeintlich politisch korrektem Anti-Antikommunismus übt, wenn es um den Kalten Krieg geht.
Allerdings hüllte sich auch die Bachmann selbst über ihre Wiener Jahre später gerne in Schweigen – „wohl um ihre Tätigkeit für Institutionen der amerikanischen Informationspolitik herunterzuspielen“. Für die weitere Karriere der Bachmann, die sich nach dem Erhalt des Preises der Gruppe 47 politisch deutlich stärker nach links orientierte, wären „solche politische Verstrickungen möglicherweise ungünstig gewesen“.
Als Ingeborg Bachmann 1953 Wien verließ, notierte Hans Weigel beleidigt: „Inge Bachmann spinnt größenwahnsinnig (…) und dürfte binnen kurzem eine komische Figur werden.“ Das traf dann eher auf den Verfasser jener Zeilen zu als auf die vielleicht bekannteste deutschsprachige Schriftstellerin des 20. Jahrhunderts.