
Es lebe das Brot! Gegen den Terror der Teiglinge
Juliane Fischer in FALTER 43/2017 vom 25.10.2017 (S. 32)
Eine Nasenpolypenoperation ist Schuld an dieser Hommage an gutes Brot. Walter Mayer kommt wieder zu seinem Geruchssinn und folgt, frei nach Marcel Proust, schreibend dem Duft seiner Kindheit – der Großvater war wandernder Pachtbäcker in Tirol und im Salzburger Land. Mayer zieht seine Kreise weiter. Für seine Recherche wandert er nicht nur im Raurisertal auf die Kalchkendlalm zur backenden Einsiedlerin, es treibt ihn auch zu albanischen Ziegenhirten, zu Fatima Zohra, einer Berberin in der Medina von Marrakesch und zu einem ehemaligen BBC-Journalisten, der 1976 aus Leningrad ein paar Gramm getrockneten Sauerteig in einem Socken nach England schmuggelte.
Das ist gut recherchiert, flott geschrieben und atmosphärisch so zugespitzt, dass die Holzofen-Idylle schon fast aus dem Buch duftet. Und doch räumt Mayer mit romantischen Vorstellungen auf. In unseren Breiten ist innerhalb einer Generation aus einem Handwerk ein Milliardengeschäft geworden. Modernes Backen – das ist die chromblitzende, sensorgesteuerte Industrierealität, die schon lange keine Bäckerhände mehr braucht.
Backmischungen aus China sind durch Bäckereiketten und Backboxen in den Supermärkten in unsere Mägen eingezogen. Heiner Kamps ist als Ex-Chef von Deutschlands umsatzstärkster Bäckereikette Kronzeuge und Triebkraft dieser Transformation. Seine Sicht ist genauso aufschlussreich wie der Blick zurück auf die symbolische Bedeutung des Brotes, seine Wirkung in Kirche, Kunstgeschichte und Geschichte, vom Emmer-Getreide am Nil über den 1939 gegründeten „Reichsvollkornbrotausschuss“ bis zur Brotrevolte 1981 in Marokko.
„Alle Völkerkatastrophen sind reine Agrarkatastrophen“, schrieb Justus von Liebig, der Erfinder des Backpulvers, über den Raubbau am Boden. Unsere essensneurotische Zeit pendelt zwischen dem Terror der Teiglinge, Unverträglichkeiten und Backkursen, die zurück zu einer jahrtausendealten Tradition führen wollen. Bei einer bewusst lebenden Elite ist eine zaghafte und gleichzeitig radikale Gegenrevolution im Gange. Nicht nur sie sollte dieses Buch lesen.


