

Wunderwelt Islam als historische Reise im Kopf
André Behr in FALTER 10/2021 vom 12.03.2021 (S. 34)
Der Einfluss islamischer Gelehrsamkeit auf die Entfaltung von Wissen in unseren Breitengraden wird selten angemessen gewürdigt. Dieses Manko zumindest bezüglich Naturwissenschaften und Mathematik zu beheben, hatte sich der US-Physiker John Freely (1926–2017) zur Aufgabe gemacht. Er unterrichtete in Istanbul, erschloss viele Quellen und verfasste zu diesem Thema wegweisende Bücher. In „Platon in Bagdad“ (2013) zeigte er etwa auf, wie bahnbrechende Erkenntnisse der Antike nur dank der Übersetzung ins Arabische den Weg nach Europa fanden.
Vergleichbar wichtige Beiträge für eine angemessene und umfassende Darstellung des islamischen Kulturraums sind auch die Werke des Briten Justin Marozzi, eines studierten Historikers, der als Reiseschriftsteller sowie als Journalist für die BBC, die Financial Times und den Economist bekannt wurde. Seit seinem ersten Buch über eine 2500 Kilometer lange Kamelreise durch die libysche Sahara engagiert er sich für den Reichtum dieser Zivilisation. Marozzis vorletztes Werk war 2014 Bagdad gewidmet.
Nun liegt das jüngste Buch des preisgekrönten Fellows der University of Buckingham auf Deutsch vor: „Islamische Imperien“ ist der Vielfalt der islamischen Zivilisation in ihrer Gesamtheit gewidmet und besticht inhaltlich wie dramaturgisch. Der Facettenreichtum dieser Kultur wird anhand von 15 historisch bedeutsamen Städten erzählt, beginnend mit Mekka am Roten Meer um 700 nach Christus und endend in der heutigen Zeit in Doha am Persischen Golf.
Eine einfache Lektüre ist das nicht, weil man zeitlich über 15 Jahrhunderte und geografisch in ebenso viele Weltstädte geführt wird, von Kabul und Samarkand im Osten über Bagdad, Jerusalem und Kairo bis zu den westlichsten Orten Fes und Cordoba. Doch die Mühe lohnt sich, denn Marozzi schreibt mitreißend; die Geschichten, die er zu jeder Stadt erzählt, bergen manch filmreifen Stoff. Außerdem kann man sich die Kapitel auch einzeln vornehmen, falls man etwas nachschlagen möchte oder eine Reise plant respektive von einer solchen träumt.