

Sebastian Kiefer in FALTER 6/2011 vom 09.02.2011 (S. 19)
Der Koran ist das Produkt einer kriegerischen, in patriarchalen Stämmen organisierten Zivilisation, die sich zwischen Hochreligionen und Großmächten behaupten musste und durch militärische Entschlossenheit zu unvorhersehbarer Macht gelangte. Nun verkündet eine verdiente Koranforscherin, "ursprünglich" sei der Koran das Zeugnis einer "Debattenkultur" gewesen, in der man "ergebnisoffen" andere religiöse Lehren "kritisch sichtete", daher gehöre er zu Europa.
Das ist ideologiegeleitete Geschichtsklitterung mit neokolonialer Note: Anstatt die Eigenart und Ferne jener Welt verstehend zu akzeptieren, werden ihr Dogmen von heute übergestülpt. Wer bereit ist, sich durch Redundanzen und Kulturalistenjargon durchzukämpfen, wird jedoch in den seriösen Kapiteln darüber informiert, wie und weshalb der Koran altarabische Dichtung, Psalmen, biblische Stoffe, Hymnen der Mönche, Schwüre der Seher, zeichentheologische Motive aufgriff und veränderte – wichtige Schritte zur einer Historisierung, die die islamische Welt so lange verweigerte.