

Familie, Freundschaft, Frauenzeitschrift
Karin Cerny in FALTER 11/2022 vom 18.03.2022 (S. 13)
Verena Roßbachers Roman „Mon Chéri und unsere demolierten Seelen“ erzählt etwas gespreizt über Freundschaft
Wer seinen Roman mit einer Anspielung auf Peter Handke beginnen lässt, ist entweder größenwahnsinnig oder hat Humor. Die 1979 in Bludenz geborene Autorin Verena Roßbacher gehört in die zweite Kategorie. Über Sexualität gäbe es wenig zu schreiben, beruft sich die Autorin auf den Nobelpreisträger, der angeblich behauptet, im Kino bei Sexszenen immer wegzuschauen. „Handke und ich sind weiß Gott nicht immer einer Meinung, aber in dieser Sache muss ich ihm auf die Schulter klopfen“, schreibt Roßbacher flapsig.
Den Angesprochenen wird das vermutlich eher kalt lassen, aber eine gute Pointe – spoiler alert! – hat Roßbachers Roman „Mon Chéri und unsere demolierten Seelen“ immerhin: Am Ende wird ihre ebenso verpeilte wie neurotische Hauptfigur Charly Benz, 42, ein Kind bekommen haben und drei mögliche Väter um sich scharen, die mit der komplexen Situation beeindruckend gelassen umgehen.
Sex hat also zweifelsohne stattgefunden, breit ausgeführt wird er zum Glück nicht. Immer, wenn Charly Musik hört, verliebt sie sich. Eine Familienaufstellung, die sie von ihrer Schwester geschenkt bekommen hat, erweist sich diesbezüglich als Erweckungserlebnis. Unter anderem trifft Charly dort auf einen ehemaligen Schwarm aus ihrer Schulzeit, der nicht, wie erwartet, eine blendende Karriere hingelegt hat, sondern Phasen des Alkoholismus durchgemacht hat. Und dann gibt es auch noch Herrn Schabowski, einen älteren Mann, den Charly regelmäßig besucht, um ihm all ihre Probleme zu erzählen, den sie aber eigentlich engagiert hat, damit er ihre Post öffnet, weil sie diesbezüglich eine Phobie hat.
Klingt alles etwas angestrengt? Ist es auch, denn der Roman ist streckenweise genau so gespreizt wie sein Titel, leidet unter seiner Pseudo-Originalität ebenso wie unter dem bemüht flockigen Stil. Im besten Falle klingt das wie ein Kinderbuch für Erwachsene, oft aber einfach auch nur so, als hätte die Autorin zu viele Zeitschriften gelesen: Da wird Yoga und Esoterik abgehandelt, Karl Lagerfelds Jogginghosen-Saga ironisch kommentiert, über die Werber-Blase geätzt. Das ist ermüdend und lenkt vom Wesentlichen ab. Im Kern und gegen Ende zu durchaus überzeugend, geht es in Roßbachers viertem Roman nämlich um ungewöhnliche Freundschaften und Wahlverwandtschaften, die keinem gängigen Muster folgen – und darum, welche Überraschungen die eigene Familiengeschichte, die man zu kennen glaubte, noch bereithält. Der mondäne Kurort Bad Gastein ist die letzte Station, die Hipster-Dichte aber hält sich zum Glück in Grenzen. Obwohl der Wes-Anderson-Vergleich natürlich nicht fehlen darf. Peter Handke wäre damit vermutlich nicht glücklich.