

Ein Fickbus in L.A. und das "Haus des Schmutzes" in Berlin
Sebastian Fasthuber in FALTER 17/2023 vom 28.04.2023 (S. 32)
Benjamin von Stuckrad-Barre war der Star der deutschen Popliteratur und kam später substanzmissbrauchstechnisch in Schwierigkeiten. Die Geschichte des Weges zurück erzählte er im großartigen autobiografischen Roman "Panikherz".
Auch in seinem neuen Buch, eine Art Schlüsselroman über den Axel-Springer-Konzern, spielt der Autor eine Hauptrolle. Als Erzähler gerät er in "Noch wach?" zwischen die Fronten. Eine junge Mitarbeiterin des Verlags -im Roman ist die Bild-Zeitung vermutlich aus juristischen Gründen als Fernsehsender getarnt - erzählt ihm von den üblen Methoden ihres Chefredakteurs. Er diente sich ihr als "Mentor" an, um sie sexuell auszubeuten - wie viele Frauen davor schon.
Dem Erzähler war der Mann als polternder Rechtspopulist immer schon unsympathisch. Allerdings ist dessen Vorgesetzter - der Senderboss - ein wirklich guter, alter Freund von ihm. Im echten Leben traf das offenbar auf Springer-Chef Matthias Döpfner zu, für den Stuckrad-Barre jahrelang gearbeitet hat. Man kann "Noch wach?" als Abrechnung lesen, der Verlagssitz wird als "Haus des Schmutzes" bezeichnet.
Noch besser funktioniert der Roman als nuancenreiches #MeToo-Sittengemälde der Medien-und Unterhaltungsbranche in Berlin und L.A., wo der Erzähler im legendären Chateau Marmont Hotel immer wieder unter Freaks Urlaub von Deutschland macht. Stuckrad-Barre spielt sich nicht als Anwalt der Frauen auf, die in die Missbrauchsfalle getappt sind. Bei ihrem Versuch, publik zu machen, was sie mit dem Chefredakteur erlebt haben, fungiert er als teilnehmender Beobachter - und sieht dabei nicht immer gut aus. Derweil geht es auch in Hollywood rund, wenn plötzlich ein "Fickbus" vor dem Hotel parkt und kurz darauf der Filmproduzent Harvey Weinstein als Sexverbrecher geoutet wird.
Am Ende bleiben die Dinge kompliziert, die alten Machtstrukturen intakt. Die bitterböse Pointe eines fantastisch geschriebenen Romans.