

Wie Filmbilder von fallendem Obstsalat
Peter Iwaniewicz in FALTER 52/2009 vom 23.12.2009 (S. 37)
Mit "Limit" hat Bestsellerautor Frank Schätzing ein sehr, sehr dickes Drehbuch für einen Actionfilm geliefert
Vor fünf Jahren eroberte ein deutscher Autor aus dem Stand heraus die Bestsellerlisten: Frank Schätzing, der in den 90er-Jahren eher nur Achtungserfolge als Thrillerautor verbuchen konnte, setzte sich mit dem Roman "Der Schwarm" an die Spitze der deutschsprachigen Verkaufscharts. 3,8 Millionen Mal wurde bislang die 1000 Seiten füllende Geschichte über die einen Super-Tsunami auslösende Kollektivintelligenz in der Tiefsee verkauft.
Nach verhältnismäßig langer Zeit ist nun sein neuer Roman "Limit" erschienen, der in Erwartung vergleichbar guter Geschäfte vom Buchhandel 350.000-mal im Voraus bestellt wurde. Die Handlung spielt diesmal nicht mehr in den Abgründen der Ozeane, sondern hauptsächlich auf dem Mond, wo US-Amerikaner und Chinesen das Element Helium-3 abbauen, welches das Energieproblem der Erde lösen und die Menschheit aus dem Zeitalter der begrenzten fossilen Energieträger in eine neue Ära führen soll. Oder wie es im Buch heißt: "Die Steinzeit ist nicht am Mangel an Steinen zu Ende gegangen."
Weltraumflüge und futuristische Technologien wären eigentlich ein klassisches Thema der Science-Fiction, doch die schlichte Bezeichnung "Roman" soll den Zugang offenbar auch für jene Käufer offenhalten, die Science-Fiction für eine Phase im Leben technikaffiner, männlicher Jugendlicher halten, die mit Abschluss der Pubertät ihr natürliches Ende findet.
Eine ähnliche Entwicklung wie Schätzing nahm die Karriere des einzigen anderen deutschen Buchautors, der vergleichbare Verkaufszahlen erreicht hat: Andreas Eschbach begann als Autor klassischer Science-Fiction-Storys, schrieb auch für Perry Rhodan und mutierte nach seinem Zeitreisethriller "Das Jesus Video" zu einem "Science-Faction"-Schriftsteller, der gut recherchierte Bestseller über das Problem fossiler Treibstoffe ("Ausgebrannt", 2007) oder das weltweite Finanzsystem ("Eine Billion Dollar", 2001) publizierte.
Dieser Trend scheint auch bereits das Problem zu beschreiben. Die taz etwa schreibt in einer Rezension zu Schätzings Mondroman: "Nachdem die Wirklichkeit selbst zur Science-Fiction geworden ist und eine durchschnittliche Wissenschaftsreportage sich wie ein Auszug aus einem Michael-Chrichton-Roman liest, steckt das Genre in einer tiefen Krise."
"Limit" aber will gar keine Science-Fiction sein, sondern in Zeiten rasanter technischer Innovationen auch noch dann aktuell wirken, wenn die ersten Exemplare in den Abverkauf gelangen. Deswegen spielt die Handlung im Jahr 2025, einer vergleichsweise sehr nahen Zukunft, in der jene Technologien, die heute noch in Entwicklung sind, bereits realisiert wurden.
Mittels "Spacelift", einem superstabilen und 36.000 Kilometer langen "Kabel", kann man mit geringem Energieaufwand zu einer Raumstation im geostationären Orbit gelangen. Außerhalb des Schwerefeldes der Erde wird die Reise zum Mond und wieder retour so kostengünstig, dass man die Helium-3-Vorräte der Mondoberfläche ausbeuten und als neue Energiequelle für die Menschheit nutzen kann. So weit in aller Kürze die eigentliche Handlung des Romans, die auf fast unerträglichen 1320 Seiten ausgewalzt wird.
Das alles sind Ideen, die schon seit längerem in den Köpfen und Schubladen der wissenschaftlichen Community liegen. Den "Spacelift" hat sich der russische Physiker Konstantin Ziolkowski bereits Endes des 19. Jahrhunderts ausgedacht. Und der Energievisionär Gerald Kulcinski von der University of Wisconsin wies 1986 erstmals darauf hin, dass im Staub des Mondes mindestens zwei Millionen Tonnen des Edelgasisotops Helium-3 lagern müssten, die man mittels Kernfusion als Energiequelle verwenden könne; keine sehr nachhaltige Energiequelle zwar, denn auch diese Vorräte wären in rund 1000 Jahren aufgebraucht, aber ganz in der Tradition bisheriger Rohstoffgewinnung und genug Stoff für ein Buch.
Während Michael Crichton für seinen ersten Welterfolg "Andromeda" (1969) fast drei Jahre recherchierte und sich durch ganze Bibliotheken las, kann man heutzutage alle wissenschaftlichen Grundlagen für Schätzings Roman innerhalb einer Stunde im Internet finden. Das darf man dem Roman jedoch nicht vorwerfen, denn erstens muss man wissen, was man sucht, und zweitens kommt es immer noch auf die Zusammenstellung der Informationen an.
Doch gerade hier scheitert der Roman. Als Leser hat man das Gefühl, kein Buch, sondern nur einen überdimensionierten Entwurf für eine Verfilmung in Händen zu haben. Während minutenlange Autoverfolgungsjagden im Kino ihren optischen Reiz haben mögen, sind seitenlange Beschreibungen solcher Actionszenen in Büchern nur ermüdend.
Wie in einem Wimmelbild wird man mit zahllosen szenischen Details zugemüllt, die selbst für einen detailversessenen Bühnenbildner zu viel an Information wären. Wenn der Protagonist in einer Kampfszene über einen Tisch stürzt und dabei die daraufliegenden Gegenstände mitreißt, dann mutet es wie eine hyperrealistische Provokation an, wenn auch die einzelnen Früchte des fallenden Obstsalats erwähnt werden.
Liebhaber fetter Schwarten bekommen (zu) viel Action, hollywoodtaugliche Romanzen und einen Plot, der es verdient hätte, die darin enthaltenen utopischen und dystopischen Dimensionen weiterzudenken und auszuloten.
So aber hat Frank Schätzing auf die Frage, was denn Science-Fiction im 21. Jahrhundert kennzeichnet, nur eine Antwort: Das Buch muss dick sein.