Fegefeuer

Roman
400 Seiten, Hardcover
€ 20.6
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ISBN 9783462042344
Erscheinungsdatum 19.08.2010
Genre Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Verlag Kiepenheuer & Witsch
Übersetzung Angela Plöger
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Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG
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Kurzbeschreibung des Verlags


Als Aliide Tru, eine alte Frau, die allein in einem Bauernhaus auf dem estnischen Land lebt, ein Bündel in ihrem Garten findet, das sich als junge Frau entpuppt, schluckt sie ihre Skepsis und Menschenverachtung herunter und nimmt Zara in ihr Haus auf. Zara ist auf der Flucht vor ihren Zuhältern, die sie mit brutalster Gewalt zu Willfährigkeit gezwungen haben und ihr schon dicht auf den Fersen sind. Doch Zara sucht keineswegs so zufällig Unterschlupf bei Aliide, wie diese glaubt: Aliide könnte die Schwester ihrer Großmutter sein. Während Zara noch Beweise für die Verwandtschaft sucht und nach einer Möglichkeit, Estland zu verlassen, fühlt sich Aliide von der jungen Frau bedroht: Zu oft musste sie Leib und Seele, Hab und Gut vor Eindringlingen schützen. In Rückblenden entsteht das immer schärfer werdende Bild einer Familientragödie, die fast fünfzig Jahre zuvor, als Estland von den Russen besetzt wurde, ihren Höhepunkt fand. Rivalität und Eifersucht, Scham, Schutzbedürftigkeit und vor allem Angst vor der Brutalität der Männer gegenüber den Frauen – das sind die Motive, die Aliide zu unvorstellbaren Entscheidungen zwangen. Sofi Oksanen gelang mit diesem Roman, der in mehr als 25 Ländern erscheint und gerade in den USA gefeiert wird, der große Wurf. Atemlos vor Spannung liest man über das Schicksal zweier Frauen, die ganz unterschiedliche und im Kern doch vergleichbare Erfahrungen machen: Egal welches politische System auch herrscht, Opfer sind immer die Frauen.


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ISBN 9783462042344
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FALTER-Rezension

"Jung? Was soll das heißen?!"

Sibylle Hamann in FALTER 39/2010 vom 01.10.2010 (S. 23)

Diese Frau ist ein Punk. Oder ein Goth? Ältere Menschen erinnert ihr Outfit an Nina Hagen in ihren besten Jahren, jüngere denken wahrscheinlich eher an Lady Gaga. Den tiefdunklen Lippenstift jedenfalls verwendet sie in ähnlich dicken Schichten, und hinten am Kopf sind etwa ein Kilo Rastalocken befestigt, mit knallbunten Strähnen drin. Sie raucht und hustet abwechselnd, in störrischer Konsequenz.

Tatsächlich aber ist Sofi Oksanen ganz anders. Das ahnt man, wenn man in ihren jüngsten, rasanten Roman hineinliest, der einen sofort davonträgt. In Skandinavien hat "Fegefeuer" sämtliche Literaturpreise abgeräumt und wurde zum Bestseller. Eben ins Deutsche übersetzt ist das Buch auch hierzulande mit Lob bedacht worden (Rezension in Falter 37), in New York kommt demnächst eine Theaterversion auf die Bühne.
Ein durchschlagender Erfolg auf der ganzen Linie – a star is born. Aber wie geht sich das aus, bei einer derart sperrigen Person? Noch dazu, wo diese sperrige Person derart sperrige Anliegen hat?
Oksanen nämlich geht es um so unsexy Anliegen wie zeitgeschichtliche Wahrheit, Menschenrechte, Feminismus oder um Identität – alles Begriffe, die sie vollkommen ironiefrei ausspricht.
Sie hat über Stalin geschrieben, über die sowjetische Okkupation Estlands, über Frauenhandel und Zwangsprostitution. Sie entwirft historische Panoramen; sie springt mit souveräner Detailkenntnis durch drei Jahrhunderte, als sei sie in jedem einzelnen dabeigewesen. Und ist doch gerade einmal 33 Jahre alt.

Sofi Oksanen sitzt auf der Bühne des Wiener Rabenhof, zieht misstrauisch eine expressiv schwarzgemalte Augenbraue hoch, und wehrt sich gegen den Vorwurf, "noch verdammt jung" zu sein. "Jung? Was soll das heißen?!", schnauzt sie zurück, wobei nicht der leiseste Hauch von Koketterie zu spüren ist. "Mittelalt bin ich. Alt genug jedenfalls."
Spätestens jetzt weiß man: Diese Frau will gar nicht spielen. Es ist ihr ernst.
Sofi Oksanen interessiert sich für Macht. Sie will wissen, wie sich Herrschaftsverhältnisse auf die privaten Beziehungen auswirken; was sie mit Liebe, Neid und Gewalt zu tun haben. Sie schaut ganz genau hin, um zu verstehen, was in Zeiten politischer Umbrüche passiert: wie Opfer zu Tätern werden und umgekehrt. An welchen Gesten man ablesen kann, wer gewinnen und wer verlieren wird.
"Es gibt eine Sorte Menschen, die immer oben landen", sagt sie. "Das sind die Opportunisten." Historisch betrachtet waren sie meistens Männer und trugen schwarze Stiefel. Heute fahren sie schwarze Autos.
Um zu recherchieren, verbringt Oksanen viele Wochen in staubigen Archiven. Etwa, um die Spitzelakten des sowjetischen Inlandsgeheimdienstes NKWD zu durchforsten. "Erst als ich mich auf die Sprache in diesen Akten eingelassen habe, auf den Tonfall, in dem Menschen zu Dingen gemacht werden, habe ich verstehen können, wie das System funktioniert."

Ähnlich gewissenhaft geht sie vor, um sich vom Alltagsleben an fremden Orten, zu fremden Zeiten ein Bild zu machen – vom alten Estland zum Beispiel. Sie selbst hat noch vage Kindheitserinnerungen an diese Welt. Ihre Großeltern mütterlicherseits wohnten in einem kleinen Dorf im Westen Estlands, militärisches Sperrgebiet, das Ausländern nicht zugänglich war. Die Geräusche und Gerüche aus den Ferien kann sie noch abrufen – das Marmeladenkochen mit der Oma etwa.
Mit Sicherheit kann Oksanen sagen, dass es im Kommunismus wesentlich mehr Fleischfliegen gab als in den Zeiten der estnischen Unabhängigkeit. Für alle anderen Details – übers Melken, Gurkeneinlegen, Deckchensticken – studierte sie mit Hingabe ganze Stapel von Frauenzeitschriften aus vorsowjetischer Zeit.

"Die Aufgabe von Schriftstellern besteht darin, neue Dinge herauszufinden und der Welt davon zu erzählen", sagt Oksanen. Das klingt altmodisch. Man kann auch Aufklärung dazu sagen. Sie selbst verwendet lieber das Wort "Gerechtigkeit".
"Wir müssen genau wissen, was passiert ist, bevor wir halbwegs normal mitein-
ander leben können", meint sie. Was den Kommunismus anbelangt, ist sie davon überzeugt, dass große Teile seiner wahren Geschichte noch nicht rekonstruiert sind – insbesondere jene aus der Perspektive von Frauen. Und: "Irgendwer muss diese Teile ja erzählen."
Das ist im neuen Russland, das gern an autoritäre Traditionen des alten Russland anschließt, naturgemäß nicht allen recht. Und damit, dass sich Oksanen konsequent und selbstverständlich als "Feministin" bezeichnet, macht sie sich sogar im aufgeklärten, fortschrittlichen Finnland Feinde.
Ja, sie habe schon gehört, dass sie in Onlineforen beschimpft werde. Oksanen zuckt nur mit den Achseln: "Daran muss man sich gewöhnen, wenn man öffentlich auftritt. Und daran, dass Frauen wie ich öffentlich auftreten, müssen sich eben die alten Männer gewöhnen."

In solchen Momenten beneidet man Sofi Oksanen um die Coolness, mit der sie alles an sich abrinnen lässt. Man beobachtet, um wie viel leichter das fällt, wenn man sich vorher verkleidet hat. Und wird blitzartig von einer Ahnung gestreift: Vielleicht ist Sofi Oksanen gar kein Punk – oder was auch immer. Vielleicht sitzt hier einfach eine ernsthafte, gebildete, belesene Frau, die sich ihr schrilles Outfit nicht zugelegt hat, um gesehen zu werden, sondern um von sich abzulenken. Damit sie dahinter ihre Ruhe hat. Und Zeit für Wichtigeres.

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Ein bewegender Geniestreich aus Finnland

Sebastian Fasthuber in FALTER 37/2010 vom 17.09.2010 (S. 21)

Sofi Oksanen, 1977 als Tochter eines Esten und einer Finnin geboren und in Helsinki ansässig, ist mit ­ihrem dritten Roman "Fegefeuer" ein früher Geniestreich gelungen. Sie hat ein thematisch eigentlich hoffnungslos überladenes Werk über Estland im 20. Jahrhundert, über Kommunisten und Nazis, Frauen und Männer, Gewalt und Gegengewalt und – ja, doch – die Liebe geschrieben, das fast auf ganzer Linie geglückt ist; einen jener internationalen Bestseller, die auch noch Kritikerlob und Literaturpreise anziehen wie ein schönes Stück Wurst die Schmeißfliegen.
Apropos Ungeziefer: Wie virtuos Oksanen ihr Handwerk versteht, führt gleich die Eingangsszene vor: Eine alte Frau in der Küche eines verfallenen Bauernhauses in der estnischen Einschicht und eine Schmeißfliege – mehr braucht es nicht, um die Handlung effektiv in Gang zu setzen und den Leser von der ersten Seite an zu fesseln. Der Weg der Fliege führt Aliide Truu ans Fenster. Vor dem Haus liegt ein Bündel, das ein Mensch sein könnte. Aliide vermutet dahinter eine Falle von Ganoven. Ihr Misstrauen hat sie sich hart erarbeitet, oft genug ­wurde ihr übel mitgespielt, wie sich noch nach und nach herausstellen wird.
Das Bündel entpuppt sich als junge Frau, die erst nur wirres Zeug redet. Stutzig macht Aliide, dass Zara, wie die völlig Verängstigte angeblich heißt, auch ein paar Brocken Estnisch spricht. Sie gibt an, vor ihrem Ehemann auf der Flucht zu sein, vielleicht auch nur vor ihrem Zuhälter. Dass das Mädchen nicht zufällig hier gelandet ist und die beiden vieles verbindet, will sich die alte Frau lange nicht eingestehen.
In Rückblenden rollt Oksanen in weiterer Folge auch Aliides Lebensweg und Estlands Schicksal im und nach dem Zweiten Weltkrieg auf. Je weiter es zurückgeht, umso wuchtiger geraten die Schilderungen. Doch nur selten wird der Bogen überspannt. Sofi Oksanen kann ähnlich dicht ­schreiben wie ein Ian McEwan oder Philip Roth und hat ganz offensichtlich die großen Schinken des 19. Jahrhunderts gelesen. Es mag kitschig klingen, aber dies ist ein tief bewegender Roman.

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