

Kunst ist, das Unsichtbare sichtbar zu machen
Wolfgang Kralicek in FALTER 43/2012 vom 26.10.2012 (S. 36)
Es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt. Auch für Christoph Schlingensief (1960–2010) hat sich angesichts seiner schweren Krebserkrankung vieles relativiert.
Zum Beispiel der Film eines verwesenden Hasen, den der Regisseur in seiner Bayreuther "Parsifal"-Inszenierung zeigte: "Wenn man gesund ist, dann kann man sich das ganz gut anschauen, vielleicht sogar poetisch finden", schreibt er. "Inzwischen habe ich allerdings gemerkt: Wenn man sich im Randbereich des Lebens bewegt, dann kann man damit nicht mehr viel anfangen. Dann denkt man: Scheiße, mich interessieren die Würmer nicht, die da in mir entstehen!"
Schlingensiefs letztes, nun posthum veröffentlichtes Buch "Ich weiß, ich war's" ist der Versuch des sterbenden Künstlers, Bilanz zu ziehen. Schlingensiefs Witwe Aino Laberenz, die Herausgeberin, hat das fragmentarisch hinterlassene Material durch Interviewpassagen, Blogeinträge oder Texte aus dem Nachlass ergänzt (etwa einen Schulaufsatz, in dem der 15-jährige Schlingensief seinen Traumberuf Regisseur beschreibt).
Das Buch erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Aber von den ersten Filmen mit Helge Schneider in Mülheim an der Ruhr bis zum letzten Projekt, dem Operndorf in Burkina Faso, ist der ganze Schlingensief drin. Was hat dieser Mann nicht alles gemacht! Schlingensief hat Wagner in Bayreuth und Manaus inszeniert, Wien mit der Container-Aktion "Bitte liebt Österreich" verunsichert, eine Partei und eine Kirche gegründet, Talkshows geleitet. "Deutschland ist zweigeteilt", schreibt er, "in die, die fernsehen, und die im Fernsehen."
Einiges sieht der Künstler selbst im Rückblick sehr kritisch ("was für ein Quatsch!"), aber Fehler waren stets Teil seines Konzepts. "Ich bin irgendwann im Eis steckengeblieben, ich bin nicht zum Nordpol gekommen, ich habe nicht den Mond erreicht."
Christoph Schlingensief hat (sich) mit seiner Kunst die Welt erklärt ("ich glaube, vor allem wollte ich das Unsichtbare sichtbar machen"). Das war das Politische daran. Für Schlingensief war Kunst aber auch ein Mittel, das Leben intensiver, auch lustiger zu machen, als es ist. Das war der Romantiker in ihm.