

"In Deutschland ist alles Lüge"
Sebastian Fasthuber in FALTER 48/2014 vom 28.11.2014 (S. 36)
Der deutsche Comedian Oliver Polak stellt sein neues Buch in Wien vor. Ein Gespräch über Depressionen, die Grenzen des Humors und Udo Jürgens
Oliver Polak macht die geschmackvollsten geschmacklosen Witze. Als die Lokführer der Deutschen Bahn kürzlich streikten, schrieb er auf Twitter: "Liebe Lokführer, ihr hättet mal lieber vor 70 Jahren streiken sollen." Zwei Wochen vorher twitterte er: "Was mich an Dieter Nuhr am meisten aufregt, ist nicht seine ,Islamhetze', sondern, dass er sich als Komiker bezeichnet." Als Selbstbeschreibung führt er "Germany's Only Living Jewish Comedian" an, auf Facebook firmiert er unter "Oliver Jesus Polak".
Weniger lustig geht es in seinem neuen Buch "Der jüdische Patient" zu, mit dem er gerade auf Lesereise ist. Es beginnt mit dem Satz: "Ich hasse mich." Polak erzählt darin, wie ihn eine schwere Depression ereilte, bis er nicht mehr ans Telefon oder aus dem Haus ging. Ein verschriebenes Antidepressivum entpuppte sich als "Anti-Antidepressivum", schließlich wies Polak sich selbst in eine psychiatrische Klinik ein. Heute sagt der Stand-up-Comedian und Autor, er sei mehr oder weniger geheilt.
Falter: Herr Polak, wie lang liegt Ihr Klinikaufenthalt zurück?
Oliver Polak: Ungefähr eineinhalb Jahre.
Inzwischen kommen Sie ganz ohne Medikamente und Gesprächstherapie aus?
Polak: Ja. Ich bin in die Psychiatrie gegangen, habe dort Werkzeuge mitgekriegt und mich mit Dingen auseinandergesetzt. Die Gesprächstherapie, die ich momentan habe, sind die Interviews. Ich glaube, das Stichwort ist Achtsamkeit. Wenn man weiß, dass man auf bestimmte Speisen allergisch reagiert, darf man die nicht mehr essen. Auch bei der Depression ist es so: Wenn man mit bestimmten Dingen ein Problem hat, muss man einen Weg finden, damit umzugehen.
Kann man bei Depressionen überhaupt sagen: Man ist geheilt?
Polak: Eine Depression ist eine Krankheit wie Krebs. Man kann daran sterben, es gibt aber auch eine Art von Heilung. Nur gibt es keine Garantie, dass die Krankheit nicht wiederkommt. Beim Krebs heißt es auch: geheilt. Aber es kann sein, dass er sich nur irgendwo versteckt hat.
Man hat Ihnen in der Klinik gesagt: "Ihre Angst ist Kitsch." War das hilfreich?
Polak: Ja. Wobei das gar nicht unbedingt ernst gemeint war. Die arbeiten dort viel mit Härte, um einen aus der Reserve zu locken. Das war bei mir auch unbedingt notwendig.
Sie haben in der Psychiatrie auch den Ratschlag bekommen: Kehren Sie in Ihr altes Leben zurück, gehen Sie wieder auf
die Bühne. Wie geht es Ihnen damit?
Polak: Bisher zumindest war es kein Fehler. Es ist gerade wieder recht viel, aber es ist okay. Das Problem damals war, dass ich vor fünf Jahren einfach ein Buch geschrieben habe. Mehr war das nicht. Die Leute haben dann unglaublich viel in dieses Buch reininterpretiert. Und das hat mich fertiggemacht. Das verbindet mich übrigens mit Udo Jürgens.
Was denn?
Polak: Der wird auch missverstanden. Bei ihm denken die Leute: Er ist der Schlagerstar. Dabei ist er der Chansonier. Bei mir denken sie: Ich bin der Jude. Dabei bin ich der Stand-up-Comedian. Nach meinem ersten Buch wurde unglaublich viel diskutiert: Darf man gewisse Sachen sagen oder darf man nicht? Ich fühlte mich teilweise beschmutzt durch Leute, die sich an mir therapierten.
Wer hat sich an Ihnen therapiert?
Polak: Dieses Gutmenschen-Bürgertum, das ins Kabarett geht. Wissen Sie, was der einzige Witz am Kabarett in Deutschland ist? Das Kabarett selbst. Die Leute denken sich: Oh, heute gehen wir zu einem linken Kabarettisten und tun mal so, als fühlten wir uns gut unterhalten. Das Ganze ist eine Farce.
Welche Kabaretterfahrungen haben Sie gemacht?
Polak: Bei mir haben sich die Leute gedacht: ein jüdischer Komiker, wahrscheinlich kommt gleich Woody Allen mit einer Klarinette aus seinem Bauch raus. Die haben meinen Witz und die Ironie überhaupt nicht verstanden. Darum hab ich vor zwei Jahren auch das Management gewechselt. Bei meinem jetzigen Management sind Leute wie Casper und andere Musiker. Ich werde nicht mehr in Kabarettlokale gebucht.
Das andere Extrem des deutschen Humors sind die TV-Comedians. Worüber lachen
die Leute da eigentlich?
Polak: Das würde ich auch gerne wissen. Wenn du schon nicht lustig bist, sei wenigstens interessant. Aber diesen Comedians ist es wichtiger, sich anzubiedern und gemocht zu werden als zu unterhalten. Sehr unangenehm ist, dass da auch Rassismus rumschwirrt. Wenn Oliver Pocher über "Bimbos" und "Neger" redet, johlen die Leute wie auf dem Reichsparteitag. Für diese Verachtung gegenüber Schwarzen würde ein amerikanischer Comedian umgebracht werden.
Sie schreiben in Ihrem Buch, Sie "leiden
an der deutschen Seele". Ist das nicht
auch ein bisschen kokett?
Polak: Klar, aber ich meine es auch so. In Deutschland ist alles Lüge. Die Political Correctness, das schlechte Gewissen – alles. Die Leute tragen das vor sich her, um sich mit Missständen nicht auseinandersetzen zu müssen. Die denken auf eine gewisse Weise – nicht weil sie wirklich so denken, sondern weil sie meinen, dass man so denken muss.
Sie haben sich selbst eine Facebook-Sucht diagnostiziert. Wie sah die aus?
Polak: Facebook ist gut als Nachrichtenservice, man kann Leuten schreiben und findet in seiner Timeline interessante Artikel. Aber als es mir schlecht ging, war ich auf Facebook, um das Loch in mir zu stopfen. Ich hätte lieber spazierengehen sollen. Facebook machte das Loch nur noch größer.
Verwenden Sie Facebook heute anders?
Polak: Ich versuche es einzuschränken. Man muss sich sehr unter Kontrolle haben. Aber es ist wie mit Erdnussflips: Man kann schwer nur einen essen.
Eine große Rolle in Ihrem Leben spielt die Musik. Sie lieben Tocotronic, James Blake und Udo Jürgens. Kann Musik bei Depressionen helfen?
Polak: Eigentlich nicht. Am tiefsten Punkt habe ich gar keine Musik mehr gehört. Das ist ja das Schlimme an der Depression: Dinge, die einem an sich Freude bereiten, machen einem keine Freude mehr. Als es wieder besser wurde, habe ich im Auto ganz viel James Blake gehört.
Ein Motto Ihres Buches ist ein Udo-
Jürgens-Songtitel: "Wer nie verliert,
hat den Sieg nicht verdient". Was
bedeutet Udo Jürgens für Sie?
Polak: Alles. Vielleicht ist das nicht normal, aber schon als Neunjähriger haben mich Lieder wie "Der gekaufte Drachen" zum Weinen gebracht. Mit seiner Musik und seinen Texten ist er eine Konstanz in meinem Leben. Er macht Unterhaltung mit Wärme. Das Chanson gab es in Deutschland nie so richtig, deshalb hat man ihn beim Schlagerscheiß einsortiert. Das verbindet mich mit ihm. Die klassische amerikanische Form von Stand-up-Comedy, die ich mache, gibt es hier auch nicht. Damit sind wir wieder beim deutschen Problem: Man macht auf Dinge einen Stempel drauf, um sich nicht damit auseinandersetzen zu müssen.
Sie haben Udo Jürgens vor Jahren Ihr
erstes Buch überreicht und ihn auch
privat kennengelernt. Wie ist er?
Polak: Ich durfte ihm inzwischen auch mein neues Buch geben. Er ist ein total aufrichtiger, höflicher, interessierter, gebildeter Mann. Sehr viele junge Leute schauen zu ihm auf, weil er sich auch viel mit der Jugend auseinandergesetzt hat. Bitte nicht falsch verstehen, damit meine ich nicht die jungen Mädchen.
Apropos kleine Mädchen: Mit Ihrem Auftritt in der TV-Show "Willkommen Österreich" haben sie neulich für einen kleinen Skandal gesorgt.
Polak: War das ein Skandal, echt?
In Österreich gelten Grissemann und Stermann als die, die mit den Grenzen
des Humors spielen. Und plötzlich kamen
Sie und toppten sie.
Polak: Ich fand es nicht so schlimm. Wir sprachen über diesen Witz mit dem kleinen Mädchen, der in meinem Buch steht. Grissemann fand ihn nicht witzig, was ja in Ordnung ist. Er hackte aber ewig drauf rum und hat sich als Comedy-Gestapo aufgespielt. Ich habe das aufgelöst, indem ich gesagt habe: "Vielleicht findest du ja kleine Kinder gut."
Was reizt Sie so daran, die Grenzen
des Humors auszutesten?
Polak: Die Frage verstehe ich nicht. Es gibt kein Buch mit den Grenzen des Humors. Die muss jeder für sich selber ziehen. Klar kann man am Tag einer Katastrophe, nehmen wir 9/11, keine Witze darüber machen. Ein paar Tage später geht es schon. Je größer das Tabu, desto besser die Pointe.
Gibt es Witze, die Sie heute nicht
mehr machen würden?
Polak: Es gibt Witze, die man im Nachhinein schwach oder seifig findet, das schon. Aber es gibt nichts zu bereuen.