

Archäologie als Grundlage unserer Zukunft
André Behr in FALTER 42/2023 vom 20.10.2023 (S. 40)
Angesichts der gerade sehr fragwürdigen Performance des Homo sapiens sapiens mag ein Blick weit zurück auf die Ursprünge der Entwicklungsgeschichte des Menschen erhellend sein. Bestens geeignet hierfür sind zwei sich ergänzende neue Bücher zum Stand archäologischer Forschungen. Der an der Uni Edinburgh lehrende US-Paläontologe Steve Brusatte erläutert, wie sich sogenannte Stamm-Säuger vor 360 bis 300 Millionen Jahren durch Abspaltung von den Reptilien entfaltet und diversifiziert haben. Der deutsche Wissenschaftskommunikator Jens Notroff wiederum beschreibt unterhaltsam den Arbeitsalltag heutiger Archäologen und Archäologinnen.
Steve Brusatte, 1984 in Illinois geboren, hat bei seinen Grabungen im Niger, in China und Schottland mehr als ein Dutzend neue Arten entdeckt. Er will uns klarmachen, dass die Evolution der Säugetiere die Grundlage für unsere moderne Welt ist und daher auch die Zukunft mitbestimmt. „Seit Homo sapiens gegen Ende der Eiszeit anfing, durch die Lande zu ziehen, sind 350 Säugetierarten ausgestorben, davon rund 80 in den letzten 500 Jahren“, wie er anhand von Beispielen wie einiger Känguru- und Spitzmausarten zeigt. Setzt sich der Trend fort, wären 2100 schon 550 Arten verloren, was angesichts gegenseitiger Abhängigkeiten ganze Ökosysteme in Not brächte.
Um solche Interdependenzen klarzumachen, ruft uns Steve Brusatte mit seinem Buch in Erinnerung, dass wir Menschen neben Pferden, Walen oder Elefanten „nur eine unter vielen Glanzleistungen der Evolutionsgeschichte der Säugtiere sind“, und erzählt uns diese Geschichte in zwei Teilen. Der erste handelt von der Ära der Säuger bis zur Kollision eines Asteroiden mit der Erde vor etwa 66 Millionen Jahren, worauf als Folge die dominanten Dinosaurier ausstarben. Es war der Zeitraum, in dem sich aus eidechsenähnlichen Vorformen Tiere herausbildeten, die bereits fast alle die für Säuger typischen Merkmale wie Fell oder Milchdrüsen entwickelt hatten.
Der zweite Teil des Buchs schildert die fantastische Entfaltung der Säuger, die ihre Chance nutzten und statt der Dinos selbst die Herrschaft übernahmen. Wir erfahren, wie sie sich an weitere, teils dramatische Klimawechsel anpassten, „mit den Kontinenten auseinanderdrifteten und so eine unglaubliche Artenvielfalt an Läufern, Gräbern, Fliegern und Schwimmern bis zu Leserinnen und Lesern mit großen Gehirnen entwickelten“. Es ist eine Reise durch die Zeiten, die uns vor Augen führt, was auf dem Spiel steht, wenn wir nicht handeln.
Welche konkreten Methoden und Prozesse der modernen Archäologie zur Verfügung stehen, um die Menschheitsgeschichte zu rekonstruieren, schildert das handliche Buch „Staub, Steine, Scherben“ des 1980 geborenen Jens Notroff. Als Spezialist für prähistorische Gesellschaften vermittelt er uns sehr anschaulich seinen Forschungsalltag. Angefangen bei den Erkundungen aus der Luft, bei denen man heute mittels Lasertechnologie selbst dichtes Blattwerk im Urwald durchdringen kann, erfährt man, was vor, auf und nach der Grabung so alles abläuft und wie uralte Gegenstände aufbewahrt werden.
Moderne Messverfahren können heute sogar Auskunft über mögliche frühere Inhalte von Gefäßen geben. Denn wo sich in den Poren des Tons Fettsäuren aus Fleisch, Milch, Getreide oder andere Biomoleküle erhalten haben, kann man diese mittlerweile nachweisen, ohne die Behälter zu zerstören.
Tatsächlich bedeutet moderne Archäologie nicht nur Erkundung im Feld, sondern auch „Sicherung der gefundenen Überreste, Arbeit in Labors, an Schreibtischen, in Bibliotheken, Archiven oder Planungsbüros“. So wurde beispielsweise die 1993 zerstörte alte Brücke in Mostar, Bosnien-Herzegowina, 2002 mit Hilfe von noch vorhandenen ursprünglichen Steinen rekonstruiert: Man entnahm sie einem Steinbruch, aus dem auch das Material des ursprünglichen Baus von 1566 stammte.
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