

Die vielen Aufgaben einer ältesten Migrantentochter
Sebastian Fasthuber in FALTER 24/2025 vom 11.06.2025 (S. 32)
Ein Notfall: Der Vater muss ins Spital. Seine Tochter ruft für ihn den Krankenwagen, weil sein Deutsch auch nach Jahrzehnten in Wien rudimentär ist. Flashback: 30 Jahre zuvor hat sie ihren Papa als Volksschulkind zu einem Vorstellungsgespräch begleitet. Auch da schon musste sie für ihn das Reden übernehmen, wenn ihm die Worte in der neuen Sprache fehlten.
In ihrem autobiografischen Roman "Ostblockherz" erzählt Didi Drobna die Geschichte einer schwierigen Tochter-Vater-Beziehung. Geboren 1988 in Bratislava, wuchs Drobna ab 1991 in Wien auf. Die Mutter war schon früher emigriert und holte ihren Mann und die Tochter nach Österreich nach.
Der Vater wird in zahlreichen Rückblenden als Patriarch geschildert, der sich von Frau und Tochter bedienen lässt. Er ist ein stiller Grübler mit Hang zu Wutausbrüchen. Beruflich ist ihm in Wien trotz Studienabschluss in der Tschechoslowakei wenig geglückt.
Seine Tochter hat er umso mehr zum Funktionieren erzogen. Drobna erzählt aus dem Nähkästchen der "Eldest Immigrant Daughter". Diese müsse das Familiengefüge zusammenhalten.
Ihr Erfolg "wird nicht nur an ihrem eigenen Erfolg gemessen, sondern daran, wie gut sie alle anderen zu erfolgreichen Karrieren und schließlich ins Glück führen kann". Nachsatz: "Mittlerweile glaube ich, dass sich am einsamsten Ort der Welt die Eldest Immigrant Daughters treffen."
Drobna gelingt mit "Ostblockherz" in einfacher Sprache und unter weitgehender Vermeidung von Kitsch eine vielschichtige Erzählung über Familien und Macht, Gefühle (und wie man sie unterdrückt), Sturheit und Vergebung.
Filmreif ist die Szene, in der Vater und Tochter der Mutter zuliebe gemeinsam Weihnachten feiern, obwohl sie seit Jahren kein Wort miteinander gesprochen haben. Das tun sie auch an dem Abend nicht. Die Minimalversion des Frohen Fests.