

Ein kräftiger Tritt in den Hintern der Bequemen
Ulrich Rüdenauer in FALTER 11/2021 vom 19.03.2021 (S. 33)
Heimat gibt es für Altmann nicht in der Einzahl, sondern in den verschiedensten Weltgegenden und vor allem Menschen. So ist seine „Gebrauchsanweisung für Heimat“ weder eine historische Untersuchung eines gerne missbrauchten Begriffs noch eine Rückbesinnung auf die eigene Herkunft, sondern vielmehr ein flammendes Plädoyer für eine unermüdliche Beweglichkeit. Ein Weltbürger wollte Altmann werden, und wurde es am Ende auch: Wer seine Kindheit als Hölle empfindet, bleibt vielleicht ewig auf der Suche nach dem Paradies, das in jedem Winkel dieser vom Menschen arg zerschundenen und doch immer wieder bestaunenswert-faszinierenden Erde verborgen sein könnte.
Altmann hat es gefunden, in der Einsamkeit der Wüste Sahara ebenso wie in New York, beim Meditieren mit einem Zen-Meister in Japan. Freunde bieten ihm Heimat. Und Frauen. Altmanns Sehnsucht nach schönen, geistreichen, seine Weltneugier teilenden Gespielinnen ist mindestens so groß wie der sinnliche Genuss, darüber zu schreiben. Womit wir beim eigentlichen erotischen Zentrum dieses Lebenskünstlers wären: der Sprache. „Mein Hauptwohnsitz ist die deutsche Sprache, nebenbei wohne ich in Paris. […] Sprache als Heimat, gefährliche Heimat, allerschönste Heimat.“
Das ist vielleicht nicht originell, aber tief empfunden. Denn tatsächlich genügt es ja nicht, etwas zu erleben. Man muss auch davon erzählen können. Dieses Talent besitzt Altmann zweifellos: mal leidenschaftlich, mal zart, mal aufschneiderisch, mal ergeben. Nicht selten wechselt der Atheist auch in einen missionarischen Tonfall. Er würde nämlich jene, die ihr Leben als Couch-Potato führen, gerne vom Sofa schubsen, sie am Kragen packen und ihnen ihre Sterblichkeit vor Augen führen.
Natürlich hat das zuweilen etwas Selbstgefälliges und Selbstgerechtes. Wer nicht mit ebenso aufgerissenen Augen und Abenteuerlust durch die Welt zieht wie Altmann, wird schnell zum Spießer degradiert. Bescheidenere Lebensentwürfe lässt er kaum gelten; auch keine gedanklichen Plattheiten. Er macht sich, natürlich zu Recht, über die einlullenden Weisheiten eines Paulo Coelho lustig, verfällt dann aber zuweilen selber ins leicht juvenile Phrasendreschen. „Ich will nicht philosophieren, ich will Geschichten von Frauen erzählen, denen ich – erotisch oder ganz ohne physische Nähe – nah war und die ich alle nicht verstanden habe. Wie Katzen, unergründlich. Schon wahr, das Verborgene ist aufregender als das Taghelle.“
Dennoch hat sein Buch das Potenzial, dem bequemen und nüchternen Zeitgenossen einen Tritt in den Hintern zu versetzen: Ich selbst, zugegeben, fühlte mich zuweilen ertappt. Zu einem Weltenbürger wird es bei den meisten zwar nicht reichen. Aber dazu vielleicht doch: ein bisschen sorgsamer mit sich und der kostbaren Lebenszeit umzugehen. Und sich klar zu werden, dass es eben nicht nur eine (un)glücklich machende Heimat gibt, die bis zum unwiderruflichen Ende verwaltet werden muss.