

Ausbeutung, Adorno und König Artus
Sebastian Fasthuber in FALTER 25/2023 vom 21.06.2023 (S. 37)
Avalon, wo sich König Artus nach seiner Verwundung aufgehalten hat, ist von ausdauernder Strahlkraft. Glastonbury erhebt seit 1191 den Anspruch, dieser Ort zu sein. Vielleicht lag er aber auch in der Bretagne.
791 Jahre später inspirierte der Mythos den englischen Poplord Bryan Ferry zu Roxy Musics Schwanengesang "Avalon". Auch unzählige Diskotheken sowie eine Kulturinitiative im Waldviertel trugen in der Folge den Namen.
Nun legt eine Autorin einen Roman mit diesem Titel vor, die zwar ein Faible für schräge Figuren hat, bei der aber nicht abzusehen war, dass sie jemals auf Ritter und Sagen kommen würde: Nell Zink. Vielleicht handelt es sich dabei ja auch um ein Täuschungsmanöver.
Zumindest das Cover muss als ein solches angesehen werden. Es wirkt wie eine Anlehnung an leichte Romane für junge Erwachsene, die Untertitel wie "Der Sommer meiner ersten Liebe" tragen, und wird zu einigen Fehlkäufen führen. Dahinter verbirgt sich nämlich etwas sperrige Kost.
Wahr ist: Zink hat einen Coming-of-Age-Roman über ein junges Aschenputtel geschrieben, der sich obendrein in der zweiten Hälfte noch als Liebesroman entpuppt. Wie ernst es ihr damit ist, darüber darf bei der Lektüre allerdings gerätselt werden.
Vermutlich ist "Avalon" beides: eine Parodie auf die romantische Liebe im ganz und gar unritterlichen Zeitalter des Spätkapitalismus, aber auch eine gelungene Darstellung des verrückten Zustands der Verliebtheit. Am Ende wird - so viel Spoiler darf sein -sogar zwei Mal gevögelt.
Kurz, schmerzlos und mit Witz: "Schließlich waren wir überwältigt genug, uns in ungefähre Position zu bringen und etwas zu tun, das dem Geschlechtsverkehr in jeder bedeutsamen Hinsicht nahekam, vor allem nachdem ich meine Reißverschlussstiefeletten abgeschüttelt und die Hose ganz ausgezogen hatte." So lassen sich Sexszenen ganz gut ertragen.
Aber von Anfang an: Bran hat eine seltsame und damit für Kalifornien nicht ganz untypische Kindheit hinter sich. Ihr Vater hat sich nach Australien abgesetzt, die Mutter verlässt sie zugunsten einer buddhistischen Sekte, als Bran zehn ist.
Ihr Name ist ein Bezug auf die keltische Frau Branwen, die von ihrem Gatten - dem König von Irland -in die Küche verbannt wird. Auch Bran muss sich mit niederen Diensten durchschlagen.
Sie wächst auf der Farm der Familie ihres Stiefvaters in Gesellschaft von Bikern und Lüstlingen auf. Von früh an wird sie als billige Arbeitskraft für Hilfstätigkeiten missbraucht. Als sie älter wird, kommt versuchter sexueller Missbrauch dazu.
Endlich hat Bran einen triftigen Grund, um von der Farm zu fliehen. Sie findet Aufnahme bei einer Familie liberaler Akademiker. Nicht nur hier wird die Handlung etwas unrealistisch. Bran, die ein prekäres Leben ohne Versicherung und Pass führt, unterhält gleichzeitig Kontakte zu jungen Bohemiens und angehenden geisteswissenschaftlichen Größen. Während diese gescheit reden und ausgiebig reisen, ist Bran ganz profan mit Überleben beschäftigt. Wie soll sie sich jemals eine Mietwohnung leisten können? Wo kommt das Geld für die nächsten Wochen her? Was soll überhaupt aus ihr werden?
Wie schon in früheren Romanen schildert Zink in "Avalon" treffsicher die harte Realität des Klassismus. Als Hilfskraft in einem hippen Kaffee verdient Bran eines Tages für ihre Begriffe zwar sagenhaft viel, aber ihr Leben bleibt dennoch prekär. Es bräuchte ein Happyend wie im Märchen, damit sie tatsächlich aufsteigen kann.
Aber meint ihr Peter es ernst mit ihr? Er ist ein angehender Elite-Literaturwissenschaftler, der in jungen Jahren schon so ziemlich alles gelesen hat, unglaublich klug und ätzend dozieren kann -dabei die Grenze zum Mansplaining des Öfteren überschreitend -, Bran aber letztlich zu verarschen scheint.
Wiewohl in Liebe zu ihr entbrannt, geht er gleichzeitig ein Vernunft-Arrangement ein und verlobt sich mit der Tochter eines einflussreichen Mannes. Das soll ihm eine akademische Karriere sichern.
Andererseits impft er Bran auch hilfreiche Gedanken ein. Einmal bringt er Adorno ins Spiel: Es gäbe kein richtiges Leben im falschen. Sie solle dem ihren eine neue Richtung geben, ihre Hilfsjobs sein lassen und ihr Glück im Schreiben suchen.
"Avalon" ist ein kurzer Roman, der große Themen antippt, ohne etwas auszuformulieren, und am Ende doch eine erbauliche Botschaft bereit hält. Ein Funken von Befreiung steckt in Brans Geschichte. Wer sich von kleinen Holprigkeiten nicht rausbringen lässt: Lesen!