

"Die Wiener sind schon grausig"
Klaus Nüchtern in FALTER 44/2023 vom 03.11.2023 (S. 4)
Nach Arno Geiger (2005) und Robert Menasse (2017) erhielt Tonio Schachinger vor wenigen Wochen als dritter Österreicher den Deutschen Buchpreis. Bereits sein Debüt "Nicht wie ihr" (2019) über einen jungen Profifußballer war auf der Shortlist gestanden. "Echtzeitalter" nun überzeugte nicht nur die Buchpreis-Jury. Der heuer im März erschienene Comingof-Age-Roman, dessen Protagonist Till ein Wiener Elite-Gymnasium besucht, erntete hymnische Kritiken samt Vergleichen mit Friedrich Torbergs "Schüler Gerber" oder Wolfgang Herrndorfs "Tschick".
Wie Vorjahrs-Preisträger:in Kim de l'Horizon ist auch Schachinger Jahrgang 1992. Die Auftritte der beiden hätten freilich nicht unterschiedlicher ausfallen können. Während die flamboyante, genderfluide Schweizer Autorenperson de l'Horizon einen vor Selbstergriffenheit triefenden Auftritt inklusive Gesangseinlage und Haupthaarentfernung performte, nahm Schachinger die Auszeichnung höflich, aber ohne viel Federlesen entgegen.
Bei der Jury bedanke er sich nicht, die habe schließlich ihren Job getan, und was auch immer "ein lächerlicher kleiner Autor aus Österreich" zur aktuellen Weltlage sagen könne, sei lächerlich -auch wenn man nicht nichts sagen könne. So geht es also auch.
Falter: Herr Schachinger, in Ihrer Dankesrede für den Deutschen Buchpreis haben Sie angemerkt, dass Sie sich wirklich freuen, obwohl man Ihnen diese Freude vielleicht nicht ansieht. Haben Sie irgendein physiognomisches Defizit?
Tonio Schachinger: Nein, aber die Situation ist die: Man sitzt schon eine Stunde in der ersten Reihe, und die Kameras zeichnen jede kleinste Regung auf. Und dann soll man auf einmal Freude performen. Früher war das leichter: Da saß man neben seiner Begleitung und unter seinen Verlagsleuten und konnte die gleich umarmen.
Sie scheinen ein kontrollierter Typ zu sein. Schachinger: Ich denke, in so einer Situation ist man gezwungen, kontrolliert zu sein.
Haben Sie überhaupt Talent zum Exzess? Schachinger: Nicht in solchen Situationen.
In welchen schon? Schachinger: Alles, was mir gefällt, möchte ich exzessiv betreiben. Es geht nur meistens nicht.
Sie kriegen eine schöne Stange Geld. Bitte sagen Sie, dass Sie davon auch was auf den Schädel hauen.
Schachinger: In den letzten Jahren habe ich mir schon hin und wieder Sachen gekauft, um zu feiern. Einen Trolley oder eine Jacke beispielsweise.
Wild. Apropos Jacke: Sie sind ja eher ein Normcore-Typ und zur Preisverleihung mit Sneakers, T-Shirt und Sakko angetreten.
Schachinger: Witzig, dass Sie das erwähnen. Erst vor zwei Tagen hat mich jemand vom Verlag gefragt, ob ich "normcore" sei. Darüber habe ich noch nie nachgedacht, aber wenn es alle sagen, wird es wohl zutreffen.
In Ihrer Schulzeit am Theresianum waren grüne Polos und braune Segelschuhe die Norm. Haben Sie sich daran gehalten? Schachinger: Jein. Ich hatte eine rosa Umhängetasche und habe generell viel rosa getragen. Das geht in diesem Umfeld bis zu einem gewissen Grad, aber man kann es auch schnell übertreiben.
Der Protagonist Ihres Romans ist ein Meister in der Kunst, nicht aufzufallen. Beherrschen Sie die auch? Schachinger: Es gibt eigentlich wenig Parallelen zwischen mir und meinem Protagonisten.
Was waren Sie für ein Schüler? Schachinger: Ich musste eine Zeit lang hinten alleine auf einer Art Eselsbank sitzen. Zwischen mir und dem nächsten Tisch waren zwei Meter Abstand.
Warum? Schachinger: Wahrscheinlich, weil ich was angestellt habe.
Waren Sie ein schlechter Schüler?
Schachinger: Nein, ich war fast überall gut außer in Chemie und Physik, Fächer, deren Stellenwert aber auch nicht besonders hoch war. Wir hatten in beiden denselben Lehrer, der fragte: "Willst du einen Zweier in Physik und einen Dreier in Chemie oder umgekehrt?" Wirklich schlecht war ich in Russisch, das teile ich tatsächlich mit meinem Protagonisten.
Haben Sie noch Kontakt zu Ihren ehemaligen Mitschülern? Schachinger: Durch den Roman wieder mehr, weil manche zu Lesungen kommen.
Wie reagieren die denn darauf, dass Sie jetzt berühmt sind? Schachinger: Ich glaube nicht, dass die das sehr beeindruckt.
Aber die wollen doch sicher wissen, ob sie im Buch vorkommen?
Schachinger: Bei einer Lesung waren zwei Klassenkollegen, von denen der eine meinte: "Das bin doch ich", worauf der andere im vehement widersprach: "Das hast du doch alles nicht gemacht!" Das passiert aber generell: Sobald man etwas schreibt, erkennen sich Leute in Figuren wieder, die nichts mit ihnen zu tun haben.
Wie stehen Sie zu Reclam-Heften? Schachinger: Finde ich ganz toll! Die kosten nur ein paar Euro und man kann sie in die Jackentasche stecken. Für mich sind die das perfekte Buch.
Ihrem Roman wurde zugestanden, von einer "wohltuenden Konventionalität" zu sein. Ist das nicht ein ziemlich zweischneidiges Lob?
Schachinger: Im Zusammenhang des Artikels in der Zeit, auf den Sie anspielen, war das okay. Das Problem ist, dass alle Journalisten voneinander abschreiben. Und wenn das Wort "Konventionalität" einmal gefallen ist, dann wird es ständig wiederholt.
Sie sind schon zweimal auf der Shortlist des Deutschen, aber noch nie auf der Longlist des Österreichischen Buchpreises gestanden. Was denkt man sich da?
Schachinger: Ich habe mich schon gewundert -insbesondere im Hinblick auf den ersten Roman, weil es beim Österreichischen Buchpreis ja eine eigene Debüt-Wertung gibt. Aber natürlich bin ich lieber beim Deutschen Buchpreis dabei als beim Österreichischen.
Apropos Österreich. Wer bei Ihnen recht schlecht wegkommt, sind die Wiener. Was ist denn so schlimm an denen? Schachinger: Die sind schon grausig. Die Tiroler kommen zwar auch nicht gut weg, aber ich lebe nun einmal in Wien, also konzentriere ich mich auf die Wiener.
Eine Szene trägt sich im Filmmuseum zu. Ich kenne den Ort ziemlich gut, aber so was ist mir noch nie untergekommen.
Schachinger: Ich habe es tatsächlich erlebt, wie bei einem Bergman-Film -ich glaube "Schreie und Flüstern" - jemand auf eine Frau einschlug, weil die mit irgendwas geraschelt hat.
Sie selbst scheinen aber auch nicht ganz unempfindlich zu sein. Mit Journalisten der Zeit haben Sie sich in der Lupetto-Bar im Siebenten getroffen, weil Sie angeblich alle anderen Lokale unerträglich finden. Wieso?
Schachinger: Bei Restaurants bin ich wählerisch, bei Bars nicht. Das Lupetto ist keine Bar, sondern ein sehr kleines, von einem Paar betriebenes Restaurant. Beim Essen ist es mir wichtig, mich wohlzufühlen, deshalb esse ich meistens zuhause oder eben bei Lupetto.
Wie steht 's mit Cafés? Sind das Orte, an denen Sie schreiben können? Schachinger: Ja. Leider ist mein Lieblingsschreibcafé, in dem ich den größten Teil von "Echtzeit" geschrieben habe, pleitegegangen.
Welches war das? Schachinger: Das Segafredo am Praterstern.
Nicht gerade die leiseste und kontemplativste Ecke von Wien. Schachinger: Für mich war es perfekt: immer Platz, sehr lange offen, gutes Service.
Wie sieht Ihr ideales Schreibsetting aus?
Schachinger: Früher gab es sehr strenge Routinen, bis ich gemerkt habe, dass ich im Grunde eh überall schreiben kann. Irgendeine Form von Privatsphäre ist aber notwendig. Im Sommer 2022 war ich zwei Monate am Millstätter See, wo ständig Menschen auf Ausflugsbooten und Stand-up-Paddler vorbeikommen, die in die Ateliers starren und man jedes Wort hört, das sie sagen. Also habe ich über die Anlage, die es dort gibt, sehr laut Musik gehört. Das ist dann wie ein privater Raum.
Und was läuft da? Schachinger: Hip-Hop. Aber nur englischer, da gibt es keine sprachlichen Interferenzen.
Es ist immer noch Text. Das irritiert Sie nicht? Schachinger: Nein. Wirklich irritierend ist die Unterhaltung von zwei Menschen in einem leisen Lokal oder auf einem Badesteg.
Auf Messen wie der Buch Wien herrscht immer ein solider Grundlärmpegel. Wie ist es für Sie, da zu lesen? Schachinger: Wenn man nur ein, zwei Termine am Tag hat, ist das Anstrengende der Leerlauf dazwischen. Hat man durchgehend zu tun, vergeht die Zeit schneller.
Wie tun Sie sich mit Frankfurt? Schachinger: Ich liebe Frankfurt.
Tatsächlich? Schachinger: Ich weiß, es ist ein kontroverse Meinung, aber ich finde Frankfurt super.
Weil? Schachinger: Ich mag, dass die Stadt so kompakt ist. Man kann in 25 Minuten zu Fuß praktisch alles erreichen, und es ist trotzdem nicht provinziell. Das Essen ist gut
Jetzt hören Sie aber auf! Schachinger: Nicht die deutsche Küche, aber alle anderen Restaurants sind viel besser als in Wien.
Haben Sie einen Tipp? Schachinger: Aunty Zhong's Noodle Bar. Ein winziges Lokal beim Platz der Republik.
Letzte Frage: Wer wird den Österreichischen Buchpreis bekommen?
Schachinger: Ich fand die Bücher von Clemens Setz und Teresa Präauer beide sehr gut. Setz hat schon viele Preise, also drücke ich Präauer die Daumen. Sie hätte sich den Preis wirklich verdient.
Der Schüler Gamer
Sebastian Fasthuber in FALTER 15/2023 vom 14.04.2023 (S. 31)
An ihren Sätzen sollt ihr sie erkennen. Tonio Schachinger, bekannt geworden mit seinem Debüt, dem Fußballerroman "Nicht wie ihr" (2019), hält in seinem zweiten längeren Prosawerk nicht lange damit hinterm Berg, dass er ein Stilist ist - und es auch zeigen wird. Deutlich wird das daran, dass sich der Wiener Schriftsteller nicht damit zufrieden gibt, wie der Erzähl-Mainstream schlanke Hauptsätze aneinanderzureihen.
Und das klingt so: "Das Besondere an Wien sind aber nicht seine originellen Außenseiter, nicht das Lercherl von Ottakring, der winzige, immer schon alt gewesene Mann im Pepitasakko, der früher auf der Kärntnerstraße mit seiner Falsettstimme Vogelgesänge imitierte, oder Waluliso, nach dem inzwischen sogar eine Brücke im FKK-Bereich der Neuen Donau benannt ist, und auch nicht die Obdachlosen oder die Drogensüchtigen, die Junkies, die im 7. Bezirk Gedichte verkaufen, in kindlicher Schreibschrift verfasst und kopiert, manche schön und traurig, andere traurig und furchtbar."
Die Auflösung eines Gedankens liefert Schachinger, Jg. 1992, in "Echtzeitalter" gern erst im nächsten Absatz: "Das Besondere an Wien sind die Wahnsinnigen mit bürgerlicher Fassade (...)." Ja, der Autor kann schreiben und ist ein guter Beobachter. Es macht Spaß, ihm auf seinen Gedankengängen und Wegen durch Wien zu folgen. Nicht umsonst hat ihn Rowohlt stante pede vom heimischen Verlag Kremayr &Scheriau abgeworben.
In seiner Stoffwahl agiert er mehrheitsfähiger als viele Gleichaltrige: Auf Fußball folgt im neuen Roman Schule. Die Erzählung begleitet die Hauptfigur Till durch seine Jahre am Marianum, hinter dem sich unschwer das elitäre Theresianum erkennen lässt, das Schachinger selbst absolvierte. Till besucht mit anderen gutbürgerlichen und Rich Kids das Halbinternat, wobei ihnen das Geld hier nichts nützt. Klassenvorstand Dolinar (Deutsch, Französisch) stammt noch aus einer anderen Zeit und führt ein extrem strenges Regiment.
Schachinger gelingen Szenen von grotesker Komik, wenn er beschreibt, wie ein paar Burschen, die ihre Reclam-Ausgaben von Stifters "Brigitta" zuhause vergessen haben, in der Pause panisch über die Schulmauer klettern, um in einer Buchhandlung Exemplare nachzukaufen. All das, um Dolinars Donnerwetter zu entgehen.
In seinem Element ist der Autor auch beim Schildern von Till als Gamer. Selten wurden der Reiz von Computerspielen und das Unverständnis älterer Generationen schöner beschrieben als in der Szene, in der Till seiner Mutter vorführt, was er macht, wenn er in seinem Zimmer verschwindet.
Spannend an "Echtzeitalter" ist die Reibung zwischen Gegenwärtigkeit (das Buch endet mit der Matura 2020) und Nostalgie. Till spezialisiert sich als Gamer auf das antike "Age of Empires II", das aus dem Jahr 1999 stammt. Auch der geschilderte Schulbetrieb wirkt wie von gestern.
Das Vergnügen an dem Roman wird dadurch geschmälert, dass er angesichts der Fülle an Szenen und Handlungsfäden seltsam formlos daherkommt. Viele Figuren wiederum sind entweder blutleer oder comichaft überzeichnet. Noch ist Schachinger mehr Stilist als Geschichtenerzähler.
„Ein hartes Business für sensible Seelen“
Daniela Strigl in FALTER 12/2023 vom 24.03.2023 (S. 4)
Unter dem vom Schriftsteller Thomas Stangl ersonnenen Claim „mea ois wia mia“ präludiert und begleitet eine ganze Offensive von Veranstaltungen und medialen Formaten den Auftritt Österreichs bei der Buchmesse in Leipzig (27.– 30.4.). Aus diesem Anlass bat der Falter zwei Autorinnen und einen Autor zu einem Gespräch über das Schriftstellerdasein und den Literaturbetrieb heute.
Alle drei haben soeben ihr jüngsten Romane vorgelegt, blicken aber auf unterschiedliche Schreibbiografien zurück. Die in Eferding als Wirtstochter aufgewachsene Karin Peschka (Jg. 1967) hat die Sozialakademie absolviert und ist erst spät mit ihrem im Nachkriegswien spielenden Debütroman „Watschenmann“ (2014) hervorgetreten, der dann gleich mehrere Preise gewann. Seitdem hat Peschka beim Salzburger Otto Müller Verlag einen Erzählband und drei weitere Romane veröffentlicht, zuletzt „Dschomba“, der Autobiografisches mit Historischem verknüpft.
Ebenfalls aus Linz gebürtig hat Teresa Präauer (Jg. 1979) Germanistik studiert und eine Ausbildung als bildende Künstlerin absolviert. Das Romandebüt „Für den Herrscher aus Übersee“ (2012) und alle nachfolgenden Bücher sind im deutschen Wallstein Verlag erschienen. Präauer, die unter anderem mit dem Erich-Fried-Preis ausgezeichnet wurde, hat die Cover ihrer Romane von Anfang an selbst gestaltet – auch jenes von „Kochen im falschen Jahrhundert“, das von einem Abendessen unter Freunden handelt.
Tonio Schachinger (Jg. 1992), als Sohn eines Diplomaten und einer Künstlerin in Neu-Delhi geboren, hat Germanistik, Romanistik sowie Sprachkunst an der Hochschule für angewandte Kunst studiert. Sein Debüt „Nicht wie ihr“ (2019) über einen jungen Profifußballer schaffte es auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises. Mit „Echtzeitalter“, dessen Protagonist ein 15-jähriger weltberühmter Online-Gamer ist, wechselte er von Kremayr & Scheriau zum deutschen Rowohlt Verlag.
Wenn Sie Ende April auf der Buchmesse sind, liegt die Finalisierung Ihrer Bücher ja zumindest ein halbes Jahr zurück. Wie ist das, wenn man das nun präsentieren muss?
Tonio Schachinger: Es sind eigentlich zwei verschiedene, voneinander entkoppelte Jobs: zuhause zu schreiben und auf Lesungen gehen.
Karin Peschka: Mein Lektor hat einmal gemeint, dass erst die Leserinnen und Leser das Buch zum Buch machen, und das stimmt schon. Man lernt noch viel über das, was man selber geschrieben hat.
Schachinger: In Filmen über Schriftsteller geht es immer um den Moment des Abschließens. Den gibt es aber eigentlich gar nicht. Bis man die letzten Fahnen durchgesehen hat, ist man im anderen Sinne „fertig“, nämlich so, dass man das gar nicht mehr wahrnehmen kann.
Teresa Präauer: Es ist auch nicht der glücklichste Moment; das ist im besten Falle schon das Schreiben selbst.
Ist das der berühmte „Flow“, in dem man gerät?
Präauer: Es ist jedenfalls eine Form von Konzentration plus Selbstvergessenheit: Man vergisst alles, was am Hirn dranhängt, auch den Körper. Allerdings zulasten desselben. In meiner Schulter macht sich schon ein Impingement spürbar.
Peschka: Ich habe manchmal einen Thermophor im Rücken.
Schachinger: Und ich habe einen wahnsinnig unergonomischen Schreibtisch. Das ist mir aber erst aufgefallen, als ich diesen Sommer zwei Monate woanders gearbeitet habe – ganz ohne Rückenschmerzen; wohingegen mich in Wien das Computerspielen an meinem eigenen Schreibtisch an den Rand eines Hexenschusses gebracht hat.
Das wird hier langsam zum Lazarett!
Peschka: Ja, ein trauriges Gespräch!
Dann sprechen wir doch über Ihre beglückendsten Lesungserfahrungen!
Peschka: Ich lese total gerne dort, wo ich herkomme: in Eferding und Umgebung. Ich mag den Begriff „Provinz“ nicht, finde aber, dass die Leute am Land oft nicht so einen Stecken im Hintern haben und einfach sehr neugierig und aufmerksam sind. In Wien hingegen habe ich mitunter den Eindruck, dass das Publikum mit so einer „Schau’n wir einmal, ob wir das gut finden können“–Haltung im Saal sitzt.
Präauer: Ich mag sowohl kleine Theater mit einer guten Technik und Akustik als auch die O-Töne, wo einfach sehr viele Leute kommen. Das ist richtig berauschend.
Schachinger: Ich hatte schon Lesungen, bei denen hundert Stühle aufgestellt waren und nur acht Leute gekommen sind. Trotzdem war es wahnsinnig nett.
Peschka: Ich kenne einen Kollegen, der eine Mindestanzahl an Zuhörern verlangt. Da müssen sich die Veranstalter hinters Telefon klemmen und die Leute vergattern.
Präauer: Es hängt überhaupt sehr viel vom Enthusiasmus der Veranstalter ab. Aber wenn die wissen, wie man eine Lesung auch als Fest zelebriert, kommen die Leute auch.
Peschka: Zum Beispiel nach Schlier -
bach.
Präauer: Schlierbach ist sooo lustig! Die ganze Truppe ist super.
Der Slogan, unter dem der Auftritt der Literatur in Leipzig stattfindet, lautet „mea ois wia mia“. Wie empfinden sie den?
Schachinger: Ich finde ihn ein bisschen peinlich. Aber in seiner Peinlichkeit passt er wahrscheinlich zu Österreich.
Peschka: Ich finde ihn nicht peinlich, habe aber die Bildmarke mehr im Kopf als den phonetischen Satz.
Präauer: Grafisch ist der schon sehr gut gelöst: Vier Zeilen mit je einem Wort, das drei Buchstaben und davon zwei Vokale hat!
In Deutschland finden ihn viele grad gut, weil man ihn nicht versteht. Jedenfalls nicht sofort.
Peschka: Das „mea ois wia mia“ müsste halt nicht nur für Leipzig gelten. Was mich ärgert, ist, dass österreichische Literatur hierzulande im öffentlich-rechtlichen Fernsehen so gut wie nicht vorkommt.
Ist die Inszenierung von Literatur im TV nicht oft auch etwas daneben? Autorinnen müssen dann versonnen durch die Landschaft schnüren oder auf der Schreibmaschine tippen …
Präauer: Ich habe gar nicht getippt, die schneiden die Schreibmaschine im Vorspann einfach rein.
Offenbar ist es nicht möglich, dass einfach nur ein Gespräch stattfindet?
Peschka: Das wär’s doch: eine Sendung zu einer vernünftigen Zeit, in der über die Bücher gesprochen wird.
Was bringt die mediale Präsenz von Literatur?
Präauer: Ich glaube, dass das Fernsehen noch immer mehr bewirkt als jedes Printmedium. Wobei mich die Auseinandersetzung in Zeitungen am meisten interessiert, weil die unter Umständen dieselbe Genauigkeit und Ruhe haben kann wie ein literarischer Text.
Schachinger: Am besten gefällt mir eine ganz traditionelle Literaturkritik, der man den Platz einräumt, den sie braucht. Wobei eine gute Rezension in einer großen deutschen Tageszeitung dann vielleicht 50 mehr verkaufte Bücher bringt. So viel ist das also auch wieder nicht.
Peschka: Wenn man medial präsent ist, kriegt man aber mehr Einladungen zu Lesungen. Nachdem ich 2017 beim Bachmannpreis angetreten bin, hatte ich schon viele Anfragen.
Schachinger: Der Mangel an medialer Präsenz betrifft auch nicht nur die Literatur, sondern Kultur generell. Im „Kulturmontag“ werden ja hauptsächlich aktuelle politische Themen verhandelt, aber nicht die Kultur.
Es braucht jedenfalls eine „Debatte“, in der man Stellung beziehen kann. Ist das Störende an der Literatur vielleicht die Literatur selbst?
Peschka: Den Eindruck kann man schon gewinnen. Ich habe das bei „Erlesen“ erlebt (von Heinz Sichrovsky moderierte Büchersendung auf ORFIII, Red.) …
Präauer: Ja, die ist der absolute Tiefpunkt, das ist literaturfreie Zone!
Peschka: Ich wurde jedenfalls eingeladen – gemeinsam mit Helena Adler und Franz Schuh. Habe ich mir gedacht: „Leiwand!“ Die Helena Adler mag ich total gern, den Franz Schuh wollte ich schon immer einmal kennenlernen. Dann kam die Pandemie dazwischen, und als der verschobene Termin nachgeholt werden sollte, waren die anderen Gäste auf einmal Hans Bürger und Toni Innauer. Da habe ich unter einem Vorwand abgesagt und mich dann geschämt, es nicht direkt angesprochen zu haben.
Muss man also nicht alles mitmachen und kann sich auch verweigern?
Präauer: Ich versuche, so viel wie möglich in der Hand zu behalten. Aber natürlich funktioniert das nur eingeschränkt – ein hartes Business für sensible Seelen.
Schachinger: Es ist ein Lernprozess. Gewisse Interviews, die ich bei meinem ersten Buch gegeben habe und die einfach nicht professionell geführt wurden, würde ich heute nicht mehr machen. Aber so schlau ist man eben erst im Nachhinein.
Wie sehr sind Sie eigentlich mit dem Label „Österreichischer Autor“ / „Österreichische Autorin“ einverstanden?
Präauer: Ich sehe mich als deutschsprachige Autorin, die in Österreich lebt und sozialisiert wurde und die sich auf bestimmte österreichische Traditionen bezieht.
Schachinger: Der Kanon in Deutschland sieht schon ziemlich anders aus und umfasst Autoren, die mir weder in der Schule noch später untergekommen sind. Dass man Österreicher ist, fällt einem ja erst in Deutschland so richtig auf, wo man mit einer ambivalenten Haltung wahrgenommen wird: ein bisschen idealisiert, aber auch ein bisschen belächelt. Wobei die österreichische Literatur dort sehr gut vertreten ist – sehr im Unterschied zu jener aus der Schweiz.
Vielleicht ist die österreichische Literatur auch einfach interessanter?
Schachinger: In der Schweiz ist jeder Debütpreis besser dotiert als die größten Literaturpreise in Österreich, und trotzdem dringt dort nur sehr wenig Literatur über die Landesgrenzen. Die müssen das aber auch gar nicht, weil die in der Schweiz ohnehin mit Geld zugeschüttet werden.
Präauer: Durch Pro Helvetia werden allerdings Übersetzungen in der Schweiz besser gefördert, als das bei uns der Fall ist. Österreich ist ein bisschen ein Nest, in dem man sich’s gemütlich macht, während der Blick in Deutschland und der Schweiz schon stärker international ausgerichtet ist.
Schachinger: Wobei eine spezifische österreichische, mit Hochdeutsch nicht identische Sprache auch schwerer zu übersetzen ist.
Wird man als österreichischer Autor „ins Hochdeutsche übersetzt“?
Schachinger: Interessanterweise haben deutsche Verlage viel weniger Probleme mit dem Österreichischen als österreichische Verlage, die sich oft in einer Art vorauseilendem Gehorsam dem vermeintlichen deutschen Geschmack anbiedern.
Peschka: Ich hatte diese Diskussionen nicht, ganz im Gegenteil. Mein Lektor hat mich dazu angehalten, stimmig und konsequent zu bleiben. Seitdem achte ich darauf, dass ich „auf Österreichisch“ schreibe – mit dialektalen Einsprengseln.
Wir haben Sie drei auch eingeladen, weil Sie unterschiedlichen Generationen angehören. Die Frage ist, wie sehr man sich selbst überhaupt als einer bestimmten Generation zugehörig empfindet?
Präauer: Für mich spielt das beim Schreiben schon eine Rolle: In der Hälfte des Lebens kann ich sicher auf eine ganz andere Weise voraus- und zurückschauen, als ich das mit 30 getan habe.
Peschka: Ich bin immer ein bisschen nervös vor öffentlichen Auftritten und habe mich beim Hergehen beruhigt, indem ich mir gesagt habe: „Du wirst in ein paar Jahren 60, du brauchst nicht mehr nervös zu sein.“
Schon gar nicht in so einer Runde!
Peschka: Das weiß ich schon – vom Verstand her. Aber was mich interessiert und was ich bleiben lasse, ist sicher auch eine Frage des Alters. In meinen Büchern kommen halt relativ viele ältere Menschen vor, und die jungen Themen überlasse ich anderen.
Was wären solche „jungen Themen“?
Präauer: Erste Menstruation?
Peschka: Ist noch nicht vorgekommen, aber ich werd’s mir merken. Erste Ejakulation wäre auch ein spannendes Thema. Ich habe aber zum Beispiel derzeit nicht vor, über den Klimawandel zu schreiben – auch wenn das in dem Sinne kein „junges Thema“ ist, weil es uns alle betrifft.
Mutterschaft wäre auch gerade ziemlich angesagt.
Peschka: Nein, das hab ich hinter mir und in „FanniPold“ auch schon literarisch abgehandelt.
Schachinger: Ich denke darüber eigentlich nicht nach. In der Literatur ist man ja bis 50 jung, und die Menschen, die das beurteilen, sind 60 plus.
Die Frage ist, wie sehr man die eigene Biografie als Ressource nutzen kann und will. Sie haben ja jetzt auch gerade einen autobiografischen Roman herausgebracht, Frau Peschka?
Peschka: Das wollte ich schon schreiben, als ich noch am „Watschenmann“ gesessen bin. Es gibt bei uns eben diesen „Serbenfriedhof“, auf dem über 7000 Menschen liegen, von denen 5362 Serben sind. Als Kind bin ich da vorbeigeradelt, ohne mir was zu denken. Als ich dann als Erwachsene meinen Vater, der damals um die 80 war, gefragt habe, was es damit auf sich hat, meinte er: „Habt ihr das nicht in der Schule gelernt?“ Hatten wir nicht. Im Ersten Weltkrieg gab’s da ein riesiges Kriegsgefangenenlager. Ich wollte meine Biografie um dieses Wissen korrigieren.
Präauer: Mich interessiert vor allem die Bewegung zwischen Biografie und Fiktion. Ich möchte die Berührung beim Schreiben und Lesen schon zulassen, zugleich aber die Gemachtheit von Literatur reflektieren und mitbedenken.
Marlen Haushofer hat einmal gemeint, dass sie gar nichts erfinden könne.
Schachinger: Ich kann das nachvollziehen. Ich weiß auch noch genau, wie ich als Teenager Murakami gelesen und mir gedacht habe: Sowas könnte ich mir nie ausdenken; ich habe wohl nicht genug Fantasie, um zu schreiben.
Präauer: Murakami ist es aber auch nur einmal eingefallen, und dann hat er es mit jedem Buch noch einmal durchgespielt.
Schachinger: Ja, das wusste ich damals noch nicht. Ich würde mich dir jedenfalls anschließen: Interessant ist der Bereich zwischen Biografie und Fiktion.
Geht es nicht auch darum, sich selbst zu überraschen?
Präauer: Unbedingt.
Schachinger: Ja, das ist das Schöne am Schreiben. Wenn mir Leute sagen, dass sie das Buch schon vorher im Kopf hatten, glaub ich das einfach nicht.
Die Verfertigung der Gedanken beim Schreiben?
Präauer: Da ist was Wahres dran.
Denkt man beim Schreiben an „die Leser“ oder „den Markt“?
Schachinger: Im Gegensatz zur bildenden Kunst, wo’s reiche Sammler gibt, sind in der Literatur die Leserinnen und Leser der Markt. Aber beim Schreiben ist es kontraproduktiv, an die zu denken. Umgekehrt ist es auch problematisch, das vollkommen zu ignorieren. Dann schielt man nur noch auf den „Markt“ der Literaturförderung, die genau diese Attitüde belohnt.
Peschka: Auf der Sozialakademie habe ich mal ein Referat gehalten und jemand meinte: „Karin, du erklärst dir immer alles selbst, und es ist schön, dass wir da dabei sein dürfen.“
Das war aber süffisant gemeint?
Peschka: Sehr süffisant.
Ist aber eigentlich ein total guter Zugang!
Präauer: Ja, weil ja ein Erkenntnisinteresse vorhanden ist. Man ist als Schriftstellerin immer auch eine Privatgelehrte, die ihr Wissen mit anderen teilt.
Was die verschiedenen Generationen von Schriftstellern unterscheidet, ist der Akt des Schreibens selbst: Es gibt solche, die eine handschriftliche Sozialisierung haben und es gibt Digital Natives.
Schachinger: Ich schreibe schon auch noch auf Papier. Nicht alles, aber doch einiges. Beim Schreiben muss ich aus dem Internet, damit ich mich konzentrieren kann. Ich weiß nicht, ob mich das zum „Digital Native“ macht?
Präauer: Das ist eher das neue Detox.
Schachinger: Genau.
Peschka: Ich brauch das überhaupt nicht. Ich mache mir schon handschriftliche Notizen, dürfte aber eine leichte Form von Legasthenie haben, die sich allerdings nur in der Handschrift manifestiert. Am Computer schreibe ich recht schnell und muss danach halt viel streichen. Meine Aufmerksamkeitsspanne ist nicht sehr groß, das war schon in der Schule so. Ich habe 50-Minuten-Slots, dann muss ich zehn Minuten Pause machen.
Das wäre dann aber eh Schulstundenlänge.
Peschka: Ja. Eine volle Stunde ist jedenfalls zu lang.
Präauer: In meinen späten Zwanzigern habe ich mit der Hand geschrieben, es dann in den Computer übertragen, das ausgedruckt, wieder handschriftlich korrigiert … Heute schreibe ich ausschließlich am Computer, sitze aber relativ lang an jedem einzelnen Satz.
Der dann aber so bleibt?
Präauer: Ja. Das Verhältnis von Geschriebenem zu Gedrucktem ist bei mir fast eins zu eins.
Peschka: Das würde ich gerne können. Ich lasse meine Sachen aber auch niemanden lesen, bevor ich nicht sieben Mal drübergegangen bin.
Ein Buch ist auch ein physisches Objekt. Welchen Wert legen Sie auf die physischen und ästhetischen Qualitäten Ihrer Veröffentlichungen?
Schachinger: Als ich 2012 in der Buchhandlung Anna Jeller war, hat sie mir „Für den Herrscher aus Übersee“ von Teresa Präauer empfohlen. Das hattest du selber gestaltet, oder?
Präauer: Ja.
Schachinger: Da hat mich jedenfalls das Cover davon überzeugt, dass das das richtige Buch für mich ist.
Präauer: Ich habe schon oft ein Buch by its cover gejudged, und da liegt man schon oft auch richtig.
Schachinger: Und manchmal ist es auch umgekehrt: Man liest ein Buch und merkt erst dann, was für ein Verbrechen das Cover ist.
In dieser Rezension ebenfalls besprochen: