

„You need to mach dir nix draus“
Julia Kospach in FALTER 42/2023 vom 20.10.2023 (S. 20)
Sollten Sie demnächst einmal während eines Slowenien-Urlaubs eine der zahlreichen Höhlen des Landes besuchen und dort auf herumkriechende Burschenschafter, Alt- oder Neonazis treffen, könnte das daran liegen, dass diese sich auf der Suche nach einem Exemplar des augenlosen, braunen Laufkäfers Anophtalmus hitleri befinden, einem 1937 entdeckten und benannten Insekt, welches unter einschlägigen Sammlern als begehrte, hochbezahlte Nazi-Memorabilie gilt.
Womit wir gleichermaßen bei Donald Trump als auch bei Dirk Stermanns neuem Buch „Mir geht’s gut, wenn nicht heute, dann morgen“ angelangt wären, in dem der duisburgerisch-wienerische Autor, TV-Host und Kabarettist dankenswerterweise ein ganzes Sammelsurium solcher und ähnlich unerlässlicher Informationen, Anekdoten und Schnurren bereithält.
Beinahe insektenhaft (um im Bild zu bleiben) wimmelt es darin auch von prominenten Namen. Das wiederum liegt an der Frau, über deren Person, Leben und Freundschaft (zu ihm) Dirk Stermann in diesem Buch schreibt: Erika Freeman, Jahrgang 1927, als zwölfjähriges jüdisches Mädchen mutterseelenallein vor den Nazis aus Wien in die USA geflohen, um dort Psychoanalytikerin to the stars – von Marlon Brando bis Woody Allen – und schließlich selbst ein Star zu werden; als Analytikerin, Politik-Beraterin, Talkshow-Gast, Aktivistin, Menschenfreundin und Zeitzeugin von überbordendem Charisma, Charme und Optimismus.
Freeman berichtet Stermann unter anderem von einem Gespräch mit Mama Trump, in welchem diese ihrer Hoffnung Ausdruck verleiht, dass ihr Sohn niemals in die Politik gehen würde, weil er dafür einfach not intelligent enough sei.
Well, well, während Mama Trumps Wunsch leider unerfüllt blieb, nützte Dirk Stermann die letzten Jahre bestens, um sich mit Erika Freeman anzufreunden, sich Mittwoch für Mittwoch zum Frühstück im Hotel Imperial zu treffen und schließlich damit zu beginnen, seine Gespräche mit ihr aufzuzeichnen und um eigene Betrachtungen zu ergänzen.
Das Buch, das auf diese Weise entstand, ist teils Hommage, teils Lebensgeschichte, teils Who’s-who-Anekdotensammlung, teils Zeitzeuginnen-, teils Freundschaftsporträt und ganz sicher eine Bomben-Liebeserklärung von Stermann an eine unvergleichliche 96-Jährige, die – nach einer Operation durch Corona und Lockdown in Wien gestrandet – seither wieder in der Stadt ihrer Herkunft lebt, und zwar in einem Zimmer im Wiener Hotel Imperial: „Meine Rache an Hitler. Er war nur einmal im Imperial. Ich wohne hier.“
Bei Mini-Croissants, kleinem Schwarzen und Marillenmarmelade erzählt Erika Freeman Dirk Sterman allwöchentlich von Partys bei Liv Ullmann, Heimwerken mit Jane Russell und Flügen mit Barbra Streisand, von New Yorker Treffen mit Golda Meir, Moshe Dajan oder Ben Gurion, von auf ihrer Couch übernachtenden Habsburgern, von ihrer Tante, der Mossad-Agentin und Zionistin Ruth Klüger-Aliav, oder von ihrer 1945 getöteten Mutter, der ersten weiblichen Hebräischlehrerin Westeuropas, die zum Vorbild für Isaac Singers Erzählung und Streisands Film „Yentl“ wurde.
All das wird zumeist in Form von Dialogen wiedergegeben, wobei Erica Freeman, die ihrerseits eine erklärte Stermann-Schwäche hat („Ich mag einen Menschen in Wien, aber dann stellt sich raus, dass er Deutscher ist“), mit Aphorismen, Einsichten und Lebensweisheiten nur so um sich wirft – viele davon in herrlichem Denglish: Von „You have to go by your bauch“ über „You need to mach dir nix draus“ bis zu „Stick with the big guns, Dirk, everybody else tries to make sich wichtig“.
Liest sich in einem Rutsch, rührt mächtig ans Herz und lässt einen mit offenem Mund staunen, was für unglaubliche Lebensgeschichten die brutalen Verwerfungen des 20. Jahrhundert produziert haben.