

"Der Einfluss von Elon Musk ist beispiellos"
Tessa Szyszkowitz in FALTER 46/2024 vom 15.11.2024 (S. 24)
Im englischen Original heißt das Buch "Character Limit". Ein gelungenes Wortspiel. Es geht um X, das ehemalige Twitter. Beim Kurznachrichtendienst darf ein Tweet nur 280 Zeichen haben. Gleichzeitig aber ist das Buch der beiden New York Times-Reporter Kate Conger und Ryan Mac eine Studie seines Besitzers. Nicht nur die Zeichenanzahl auf X sei beschränkt. Auch, so deuten Autorin und Autor an, der Charakter von Elon Musk.
Seit der genialische Tech-Innovator 2022 Twitter für 44 Milliarden Dollar gekauft hat, hat sich der Kurznachrichtendienst in eine Kloake aus Hass und Wut verwandelt. Zwar verwenden X nach wie vor viele Influencer der Polit-und Medienszene. Aber der Spaß, den das Medium früher machte, ist weg. Elon Musk habe das Unternehmen durch erratische Entscheidungen ruiniert, schreiben Conger und Mac. Der Besitzer der Firmen X, Tesla, Starlink, des Raketenbauers Space-X, der KI-Firma xAI und des Gehirnimplantatunternehmens Neuralink ist jetzt Chefeinflüsterer des frisch gewählten US-Präsidenten. Conger und Mac melden sich beim Falter per Videolink direkt aus dem Silicon Valley.
Falter: Kate Conger, Ryan Mac, wie ist die Stimmung in der Bay Area von San Francisco nach dem Triumph von Donald Trump und seinem eifrigsten Wahlwerber Elon Musk?
Kate Conger: Es fühlt sich definitiv wie eine Verschiebung gegenüber 2016 an, als es nach Trumps erster Wahl hier noch viel Widerstand gegen Trump gab.
Ryan Mac: Neben Elon Musk stammt auch Vizepräsident J.D. Vance aus dem Silicon Valley. Vance war der Protegé von Peter Thiel (Tech-Magnat, der Paypal gegründet hat, Anm.). Bei Innovationen rund um KI werden wir ihren Einfluss spüren. Das Weiße Haus wird Silicon Valley genau beobachten und sich von Leuten wie Peter Thiel oder Marc Andreessen (Entwickler des Webbrowsers Netscape) inspirieren lassen. Oder Internet-Investor David Sacks, der auch sehr einflussreich für Donald Trump war. Im Jahr 2016 hat Peter Thiel Donald Trump öffentlich unterstützt.
Warum jetzt nicht mehr? Mac: Thiel hat wohl schlechte Erfahrungen gemacht in der ersten Trump-Regierung. Die Beziehung ist frostig geworden.
Aber Thiel hat immer noch Einfluss. Der berühmteste und wichtigste Berater des gewählten Präsidenten ist jetzt aber Elon Musk geworden. Dafür hat er ja auch Millionen von Dollar ausgegeben. Er hat für ihn Wahlkampf gemacht, an Rallyes teilgenommen. Er hat sein Megafon benutzt, hat auf X ständig über ihn gepostet. Und jetzt will er die Rolle des "Effizienzkoordinators der Regierung" übernehmen. Es ist also ziemlich beispiellos, wie viel Zugang und wie viel Einfluss er hat.
Musk war bereits bei dem Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj dabei und hat ihm wie ein freundlicher Onkel gesagt, dass Selenskyj weiterhin sein Satellitennetzwerk Starlink benutzen darf. Wird Weltpolitik ab jetzt abhängig davon sein, ob Elon Musk gut aufgelegt ist oder nicht? Mac: Wir befinden uns auf unerforschtem Gebiet, was den Grad seines Einflusses angeht. Die Abhängigkeit der ukrainischen Armee von Musks Starlink war schon vor Trumps Wahlerfolg erheblich. Musk will sicher, dass das Weiße Haus weiterhin Verträge mit Starlink in der Ukraine unterstützen wird. Was aber, wenn Trump sich von der Unterstützung der Ukraine zurückzieht?
Elon Musk möchte gerne, dass Trump aus Dank jegliche Regulierungen für Musks Firmen fällt: für die Raketen zum Mars von SpaceX, die fahrerlosen Tesla-Autos in Kalifornien und natürlich für alles, was Musk auf X postet.
Conger: Musk ist ein Extrembeispiel, steht aber für einen breiteren Trend im Silicon Valley. Im Silicon Valley setzen sich Unternehmen gerne über Vorschriften hinweg und wollen keine Regeln befolgen. Sie müssen nur innovativ sein und ein neues Unternehmen gründen, unabhängig davon, was das Gesetz sagt. Die Taxi-Apps Uber und Lyft sind klassische Beispiele von Unternehmen, deren gesamtes Geschäftsmodell zu Beginn nicht legal war. Im Laufe der Zeit haben sie ihre eigenen Gesetze schreiben lassen, um diese Unternehmen zu legalisieren. Das haben wir hier in Kalifornien gesehen.
Sind alle Tech-Magnaten gleich, gibt es das klassische Drehbuch für populistische, autokratische Führungsanhänger?
Mac: Die Tech-Milliardäre sehen sich als Herren des Universums. Bill Gates hatte aber immerhin das Ziel, Krankheiten auf der ganzen Welt auszurotten. Elon Musk hat ganz andere Werte und Ziele. Es geht ihm nur um seine geschäftlichen Erfolge.
Wird Elon Musk mit Amerika so umspringen wie mit Twitter?
Conger: Es gibt viele Parallelen zwischen Musks Mission der Kostensenkung bei Twitter und dem, was er mit der Effizienzkommission der Regierung machen möchte. Es gibt eine Szene in unserem Buch, in der Musk alle Leute auf Twitter über das Wochenende zu einem Anruf zusammentrommelt, um das Budget von Twitter durchzugehen. Dann geht er es Zeile für Zeile durch und fordert die Leute auf, Rechenschaft über das Geld abzulegen, das sie ausgeben. Das ist der Ansatz, den er für den Bundeshaushalt verfolgen möchte. Er greift gerne tief ins Unkraut. Er will den Dingen, die er verwaltet, seinen Stempel aufdrücken.
Das führte bei Twitter dazu, dass nach seinen Einsparungen die Strukturen zusammenbrachen.
Conger: Mehr als 75 Prozent des Teams wurden entlassen und viele Dinge sind auseinandergefallen, weil die Moderation von Inhalten auf Twitter auf der Strecke geblieben ist und die Anzeigenverkaufsteams unterbesetzt sind. Das hat zu technischen Problemen und Störungen auf der Website geführt. Sogar Dinge wie den Transparenzbericht von Twitter gibt es nicht mehr. Dieser legt offen, wann Musk Anfragen von Regierungen auf der ganzen Welt erhält, Inhalte zu zensurieren. Obwohl Musk wirklich fest daran glaubt, dass er transparent mit Zensur umgehen will. Elon Musks Einstellung ist so: Wir können Dinge kaputt machen. Und wenn sie kaputt gehen, können wir sie einfach wieder zusammensetzen. Aber die Wahrheit ist: Das Ergebnis ist Chaos. Sein Vorgehen hat der Plattform erheblichen Schaden zugefügt.
Gilt bei ihm Meinungsfreiheit nur so lange, wie es seiner eigenen Meinungsfreiheit guttut? Mac: Musk steckt voller Widersprüche. Was er an einem Tag twittert, widerruft er am nächsten. Interne Debatten toleriert er nicht, vor allem, wenn ihn jemand herausfordert. Wir haben viele Beispiele im Buch, dass er Leute oft fristlos feuert. Seine Ansicht über die Meinungsfreiheit erstreckt sich nicht auf seine eigenen Unternehmen. Er kam mit der Idee zu Twitter, dass er die Meinungsfreiheit auf der ganzen Welt verteidigen würde. Aber dann erklärte er, dass er sich an die lokalen Gesetze halten wird, egal in welchem Markt er sich befindet. Viele Staaten sind nicht die besten Beispiele für Meinungsfreiheit. In Indien hat seine Firma eine BBC-Dokumentation gelöscht, weil die Regierungsbehörden das gefordert haben. Ähnliches passierte in der Türkei. Ich glaube nicht, dass das unter irgendeine Definition von Meinungsfreiheit fällt. Es ist unsinnig.
In Brasilien gab es einen mutigen Versuch, Twitter zu moderieren?
Conger: Der Brasilien-Fall zeigt, wie Musk tickt. In Indien kam er den Zensurforderungen der Regierung sofort nach. Aber in Brasilien war er nicht damit einverstanden, seine Plattform zu moderieren. Er brachte es so weit, dass der Richter X verboten hat. Sehr viele Menschen haben X danach verlassen, um zu Blue Sky oder Threads zu gehen. Regierungsbeamte in Brasilien haben ihre Konten auf diesen anderen Plattformen eröffnet.
Mac: Dann hat Musk nachgegeben. Sehr interessant ist, dass er kein Wort mehr über Brasilien verloren hat, seit er das getan hat.
Wenn die EU mit dem Digital Safety Act X an die Kandare nimmt, geht Musk dann einfach weg aus Europa? Conger: Ich glaube nicht, dass irgendeines dieser Unternehmen den europäischen Markt verlassen kann. Das ist wirtschaftlich nicht machbar. Es wäre nicht klug, dieser Art von Drohungen nachzugeben.
Ist es überhaupt möglich, diese Unternehmen zu zähmen? Es liegt offenbar in der Natur von Algorithmen, dass sie Hass einfach so viel mehr antreibt als Vernunft?
Conger: Content-Moderation war immer ein bewegliches Ziel. Und diese Unternehmen haben Tag für Tag darüber debattiert, welche Arten von Inhalten online erlaubt sein sollten. Leider mögen die Leute Desinformation. Es gibt etwas an der Online-Empörung, das verlockender ist als jede andere Art von Inhalt. Und diese Posts und Dinge, die die Leute wütend machen, das sind die Dinge, die sie teilen wollen. Aber wir sollten diese Unternehmen nicht aus der Verantwortung entlassen. Wir haben immer wieder gesehen, wie sich Online-Gewalt in der realen Welt ausgewirkt hat -sei es am 6. Jänner hier in den Vereinigten Staaten oder in Brasilien, wo es einen ähnlichen Aufruhr gab. Oder die jüngste Gewalt in Großbritannien, die durch falsche Anti-Immigranten-Posts im Internet angeheizt wurde. Unternehmen müssen Verantwortung übernehmen, um zu versuchen, die Auswirkungen zumindest zu mildern.
Die Alternativen zu X/Twitter haben bisher aber nicht abgehoben. X hat angeblich 396 Millionen User. Blue Sky mit 13 Millionen Nutzern ist dagegen nichts. Was sehen Sie in der Bay Area in San Francisco als nächstes neues Ding? Mac: Ich warne davor, Zahlen über X zu glauben. Musk hat schon lange keine geprüften Zahlen mehr veröffentlicht. Früher, als Twitter ein börsennotiertes Unternehmen war, war das anders. Musk und Linda Yaccarino, die CEO von XCorp, vermitteln gerne, dass es dem Unternehmen gut geht. Aber alle glaubwürdigen Berichte zeigen, dass X einen Rückgang von Nutzerzahlen verzeichnet. Die Einnahmen sind weg. Alternativen wie Blue Sky oder der Konkurrent von Meta, Threads, sind aber relativ neu. Mark Zuckerberg hat neulich gesagt, dass es 275 Millionen Nutzer bei Threads gibt. Ich weiß nicht, wie aktiv die sind. X lebt jedenfalls noch, gerade wenn es um Live-Events geht. Ich schaue auf X nach, was passiert, wenn es ein Erdbeben gibt. Das bekommt man mit Threads noch nicht hin. Und Blue Sky hat auch noch keine kritische Masse an Menschen. X wird inzwischen weniger besucht, weil es den Leuten nicht gefällt, was auf der Plattform passiert. Sie schätzen die Fehlinformationen nicht. Und den Hass. Und den Rassismus.
Gehen junge Tech-Ingenieure immer noch zu X, um Karriere zu machen?
Conger: Der Arbeitsmarkt in der Tech-Branche ist im Moment ein wenig seltsam, vor allem seit der Pandemie. Es fühlt sich schwerer an, Arbeit zu finden. Musk hat einen Großteil des mittleren Managements und viele der C-Suite-Jobs (die oberste Management-Ebene, Anm.) gekündigt. Ehrgeizige junge Leute, die sich von Musks Verhalten nicht stören lassen, können bei X jetzt die Karriereleiter schneller raufklettern als bei Facebook oder Google.
Vom Vermögen her hat Musk verloren, seit er X gekauft hat. Aber an Einfluss hat er jetzt sicher gewonnen?
Mac: Die Aktien von X sind heute weniger wert, was für Musk einen massiven Wertverlust bedeutet. Was Musks persönliches Vermögen angeht, ist er davon aber nicht wirklich betroffen. Ja, er hat mit Twitter auf dem Papier viel Geld verloren, aber in der gleichen Zeit hat er ein neues KI-Unternehmen - xAI - als Konkurrenz zu seinem früheren Unternehmen OpenAI gegründet und steht jetzt bei einer Bewertung von 40 Milliarden Dollar. Der Wert von Tesla ist an einem Tag um 15 Prozent gestiegen -ein Jahreshoch -, weil Trump gewonnen hat. Wenn man so reich ist, kann man bei vielen Hebeln ansetzen. Und hat einen großen Zugang zu Macht, der einem immer mehr Macht und Reichtum verschafft.
Es hat schon vor Trumps Wahl begonnen: Erst war er gegen die Einrichtung von mehr Ladegeräten für Elektroautos in den Vereinigten Staaten. Und jetzt hat er seine Haltung überdacht. Aber werden sich die von Trump angedachten Zölle nicht gegen den Export der Teslas richten, wenn China und die EU Gegenzölle einführen?
Mac: Es wird sicherlich andere Hersteller von Elektrofahrzeugen davon abhalten, Autos auf den US-Markt zu bringen, insbesondere chinesische Autohersteller, die vielleicht etwas Hoffnung hatten. Wenn man sich die Reden ansieht, die Trump in den letzten Monaten vor der Wahl gehalten hat, dann war er anfangs sehr gegen Elektrofahrzeuge. Er sprach lieber über die Schönheit von Benzinautos und Verbrennungsmotoren. Und dann fing er langsam an, sich zu bewegen. Als Elon Musk an Bord kam, fing Trump an, solche Sachen zu sagen: Vielleicht sind diese Elektroautos gar nicht so schlecht? Das ist der Effekt, den man bei jemandem wie Donald Trump hat. Elon Musk ist nicht die erste Person, die glaubt, dass sie Trump beeinflussen kann, indem sie ihm ins Ohr flüstert.
Wer ist Ihrer Meinung nach der gefährlichere Charakter in diesem Spiel? Trump oder Musk?
Conger: Ihre Persönlichkeiten sind ähnlich. Der Mehrheit der Amerikaner gefallen sie anscheinend. Trump hat mehr Einfluss als Musk, aber Musk hat auch diesen wirklich starken globalen Einfluss, der schwer zu unterschätzen ist. Er hat in den letzten Jahren daran gearbeitet, Beziehungen zu rechten Führern auf der ganzen Welt aufzubauen. Wenn etwas nicht nach seinen Vorstellungen läuft, kann es sehr gut sein, dass er sich jemand anderem zuwendet.
Beide sind Kontrollfreaks, wie werden sie das aushalten?
Conger: Musk ist jemand, der nie wirklich gut mit anderen kooperiert hat. Er hat Twitter teilweise nur deshalb gekauft, weil er es nicht ertragen konnte, nur einer von zwölf Stimmen im Vorstand zu sein. Wir werden Krach zwischen ihm und Trump erleben, weil Musk wie Trump wirklich immer das letzte Wort in allem haben wollen.
Sind Sie selbst noch auf X?
Conger: Ja, ich bin immer noch da. Weniger als früher, aber ich recherchiere dort ja auch über das Unternehmen. Auf BlueSky kann ich die persönlicheren Konversationen führen, die ich früher auf Twitter hatte. Threads ist interessanter für Journalisten.
Ryan: Wir benutzen X jetzt, um für unser Buch zu werben. Meine Berichterstattung über Elon Musk ist oft kritisch. Es ist also eine Art Gegenprogrammierung, denke ich, zum Rest, der dort verbreitet wird. Außer X gibt es eben immer noch keinen zentralen Marktplatz. Wenn man morgens aufwacht, schaut man auf X nach, ob alle da sind.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Elon Musk nie auf Interviewanfragen antwortet. Hat er Ihr Buch zur Kenntnis genommen?
Conger: Ja! Jemand hat es auf X gepostet und er hat darauf ein paar lachende Emojis gepostet. Vielleicht sollten wir seine Antwort zum Klappentext auf das Cover setzen.
Was würden Sie Usern mit Blue Ticks raten? Will man das blaue Häkchen haben? Mac: Ich denke, die Bedeutung des blauen Häkchens hat sich völlig verschoben. Conger: Es ist wie ein Abzeichen, das besagt, dass jemand ein Fan von Elon Musk ist.
Wie wird man das blaue Häkchen los? Conger: Sie brauchen nur nicht mehr zahlen. Die Leute aber lieben die Aufmerksamkeit. Sie zahlen dann lieber, weil sie nicht vom Radar verschwinden wollen.