

Drei Monate in lichter Schwebe
Julia Kospach in FALTER 42/2025 vom 15.10.2025 (S. 43)
In seiner Heimat ebenso bekannt wie bewundert, ist der französische Reiseschriftsteller und Geograf Sylvain Tesson, Jahrgang 1972, hierzulande als Meister des Nature Writing noch eher ein Geheimtipp, den es zu entdecken gilt. Halb Gelehrter, halb sportsman nach dem Zuschnitt klassischer Entdeckungsreisender erwandert, erklettert, erradelt und – im Fall seines neuen Buchs „Mit den Feen“ – ersegelt sich Tesson die Landschaften und Kulturräume, die er durchmisst, und gießt seine Reisen in eine wunderbare Prosa voller literarischer Referenzen und Naturdetails. Tesson ist eine rare Mischung aus poetischer Sehnsucht und Furor nach körperlicher Verausgabung.
Seine Devise: Je entlegener und menschenleerer, desto besser. Nach drei Reisejahrzehnten und einem Dutzend Büchern lässt sich mitverfolgen, wie er menschlichen Ballungsräumen immer stärker aus dem Weg geht. Frustriert davon, dass es sich, egal wo, die eine Hälfte der Menschheit zur Aufgabe gemacht habe, die andere zu benachteiligen (ein starker feministischer Impuls!), sowie davon, dass die kollektive Verblödung fortschreite („Die Bewohner dieses Planeten haben einen kleinen schwarzen Gott in ihrer Tasche […] und kümmern sich den ganzen Tag um ihn“), sehnt sich Tesson spürbar nach einer Art Wiederverzauberung der Welt.
Bei den titelgebenden Feen seines neuen Buchs handelt es sich für ihn nicht um „Libellen-Mädchen“, sondern um ein Phänomen und eine Weltsicht, der es um „eine Veredelung der Wirklichkeit“ geht und um die „Bereitschaft, die Welt zu erfassen und ein Wunder in ihr zu erkennen“. In Tesson-Manier ausgedrückt: „Der abermalige Widerschein der Sonne auf dem Meer, das Säuseln des Winds in den Blättern einer Buche, Blut im Schnee, perlender Tau auf einem Tierfell: Dort sind die Feen.“
Kurzum: Tesson ist ein großer Bewunderer von Naturerscheinungen – nicht zu verwechseln mit Idylle. Dort, wohin er diesmal reist, zeigt sich die Natur ebenso rau und gefährlich wie schön und überwältigend. Kein Wunder, dass die keltischen Mythen seit jeher von Feen, Geistern und übernatürlichen Erscheinungen bevölkert sind.
Über den Seeweg bereist Tesson die keltisch geprägten Meere und Küsten in einem großen Bogen vom spanischen Galicien über die Bretagne, Cornwall, Wales, die Isle of Man, Irland, Schottland und zurück. Es sind drei Monate „in der lichten Schwebe“ zwischen Meer und Land, entlang eines Küstenstreifens, „mit Stechginster überzogen, mit Gischt gesalzen und von den Möwen bewacht“. Die gen Westen und die untergehende Sonne geöffneten Steilklippen öffnen sich weiten Träumen und bieten der Seele erhebende Ausblicke, wenn Tesson sich mit seinem Schlafsack in eine Mulde bettet: „Wenn man am Rand eines Felsens den Kosmos betrachtet, kann man Sartres Wunsch erfüllen, sich durch die Dinge aufsaugen zu lassen wie die Tinte durch ein Löschblatt. Das Wunderbare hat sein Absorptionsvermögen.“ Prähistorische Menhire sind es, die in dieser schwankenden, stürmischen, brandungsgeprägten Welt für steinerne Stabilität sorgen.
„Mit den Feen“ ist, erneut, ein sehr schönes Tesson-Buch. Allerdings ist es kursorischer, logbuchartiger als seine anderen Bücher, die durchkomponierter sind. Womöglich liegt das an der stetigen Schräglage auf See und dem Eindruck der Wechselhaftigkeit des Lebens angesichts der Wildheit des Meeres, das alle Gewissheiten auflöst. Auch Tessons Neigung zum Sentenzhaften ist hier stärker – nicht immer zum Vorteil des Texts.
Unverändert grandios ist sein Beharren darauf, dass die Naturwelt ein magischer Ort ist, wenn man nur hinschaut und sich ihr wirklich, buchstäblich mit Haut und Haaren und unter körperlicher Anstrengung, aussetzt. Die keltischen Küsten halten dabei jede Menge Wunder bereit – und auch einige Skurrilitäten, darunter „lebendige Hortensien“: alte englische Damen mit blauen Haaren und rosa Jacken.