
Kokain und Kleinfamilie: ein Roman über Fiume
Matthias Dusini in FALTER 46/2025 vom 12.11.2025 (S. 29)
Der Wiener Autor und Satiriker Dirk Stermann, bekannt durch die ORF-Sendung "Willkommen Österreich", bearbeitet in dem Roman "Die Republik der Irren" einen historischen Stoff, der alle Grenzen sprengt. Der Schriftsteller Gabriele D'Annunzio besetzte nach dem Ende des Ersten Weltkriegs die kroatische Stadt Rijeka/Fiume. Stermann schildert den Wahnsinn dieser antibürgerlichen Utopie, deren Slogan lautete: "Ich gehorche nicht!" Den harten Kern der Besatzer bildeten ehemalige Kämpfer der Dolomitenfront, die vom Opfertod träumten. D'Annunzio lud die Insassen von Irrenhäusern nach Rijeka ein, als Triumph über die verhasste Rationalität. Der Futurist Tommaso Marinetti reiste an, um das Projekt zu beobachten. Die Berliner Dadaisten schickten begeisterte Grüße.
Stermann greift auf Material zurück, das der Autor Kersten Knipp für das Buch "Die Kommune der Faschisten" recherchierte. In lebensnahen Szenen schildert er die Party: Anarchisten feiern mit Faschisten, Frauenrechtlerinnen mit Frauenhassern, koksende Homosexuelle mit gewaltbereiten Frontkämpfern. Längere Passagen aus seinen Reden veranschaulichen D'Annunzios Größenwahn. Gespannt folgt man der Entwicklung des Experiments, dessen Scheitern vorprogrammiert ist. Wer den historischen Hintergrund nicht kennt, denkt sich: Das darf doch alles nicht wahr sein.
Stermann erzählt das Geschehen aus der Perspektive des Krankenwärters Cherubino, der sich in eine junge Nonne verliebt. Die beiden werden ein Paar, bekommen ein Kind und geraten eher zufällig in das Abenteuer Rijeka. Die Harmonie dieser Story steht im Kontrast zu den Dissonanzen der Umgebung: Das Glück der Kleinfamilie statt Sex, Drugs & D'Annunzio. Literarisch gesehen ist "Die Republik der Irren" eher ein Glas Wein als Kokain. Stermann gelingt ein packender Historienroman, der einen auch ästhetischen Ausnahmezustand mit konventioneller Erzähltechnik einfängt.


