

Nicole Scheyerer in FALTER 27/2015 vom 03.07.2015 (S. 28)
Vielleicht stammt das lateinische Motto des Romans von Kaiser Nero. „Fac ut ardeat“, also „Lasst es brennen“, lauten die ersten Worte in Rachel Kushners 2013 erschienenem und jüngst übersetztem Roman „Flammenwerfer“, der fürwahr genug Zündstoff enthält. Die US-Autorin wird ihrem Geburtsjahr 1968 gerecht, denn Aufbegehren, Revolte und Gewalt flackern durch das Buch, das den Leser auf einer roten Rennmaschine zu „heißen“ Schauplätzen der 1970er-Jahre mitnimmt.
Damit nicht genug, verknüpft Kushner ihre Schilderungen aus der New Yorker Kunstszene und dem Italien der Roten Brigaden virtuos mit Rückblenden zum Aufstieg eines Mailänder Industriemagnaten. Dessen Leidenschaft für Motoren erwächst noch vor dem Ersten Weltkrieg aus futuristischer Poesie.
Die Ich-Erzählerin des Romans ist eine 22-jährige Künstlerin und passionierte Motorradfahrerin aus Nevada, deren echten Namen wir nie erfahren. Ihr One-Night-Stand und späterer Künstlerfreund Ronnie Fontaine tauft sie „Reno“, und die Assoziationen von Wüste, Glücksspiel und Trailer-Parks bleiben hängen. Die Absolventin einer konservativen Kunstschule bewundert die Land-Art, hat Robert Smithsons gewaltige Steinspirale in Utah besucht und möchte nun auf einem Salzsee ihre eigenen Reifenspuren wie Zeichnungen fotografieren. Als Vehikel für das Motorradrennen dient ihr eine werksneue Moto Valera, an die sie nur durch ihren 14 Jahre älteren Geliebten Sandro, einen Spross besagter Fabrikanten, kommt.
Wenn Kushner selbst Flaubert einstreut, dann legt sie den Vergleich mit dessen großem Entwicklungsroman „L’Education sentimentale“ nahe. Wie der Provinzler Frédéric Moreau liegt Renos größte Stärke und Schwäche zugleich in ihrer Unbelastetheit, um die sie von den Etablierten belächelt und insgeheim beneidet wird; wie Flauberts Held beobachtet sie Bohemiens, Aristokraten und Revolutionäre mit viel Humor und Sinn für Nuancen, ohne direkt Partei zu ergreifen. Während aber Moreau als Spießer endet, steht am – leider schwachen – Ende von „Flammenwerfer“ die Frage der Protagonistin „Wie lange soll ich noch warten?“.
„Eine junge Frau ist ein Leiter. Sie braucht nur zu existieren“, erklärt Sandro seiner Freundin, bevor er sie mit in die Villa seiner bösen Mutter am Comer See nimmt. Schon allein die Reflektiertheit dieses Satzes wischt alle Kritik zur Seite, in Kushners Roman seien die femininen Figuren vor allem passive Staffage. Egal ob Künstlerin, Party-Girl, Galeristin oder Bombenbauerin: Weiblichkeit in den Seventies wird als eine Art Performance begriffen, eine ständige Anstrengung, mehr als nur ein energetisches Medium für die Männer zu sein.
„Ich habe die Phrase ‚Fac ut ardeat‘ im Elternhaus eines italienischen Freundes mit faschistischem Hintergrund gelesen“, erzählte die Schriftstellerin in einem Interview. Die titelgebenden Flammenwerfer entpuppen sich als Papiersoldaten jener Sturmtruppen aus dem Ersten Weltkrieg, mit denen Sandro in seiner Kindheit gespielt hat. Kushners tolle Sprache und Erzählkunst, auch die Verflechtung solcher Details lassen für ihre Prosa brennen.