

Macht und Hybris in der Höhle des Ali Baba
Albert Eibl in FALTER 9/2021 vom 05.03.2021 (S. 34)
Wer hätte gedacht, dass Martin Mosebach, seines Zeichens katholischer Reaktionär und Gentleman-Schriftsteller alter Schule – und, nebenbei bemerkt, einer der letzten Epiker Thomas Mann�scher Prägung – auf über 500 Seiten einen derart kurzweiligen und zugleich unbarmherzig tiefsinnigen Roman über die Tragödie von Macht, Übermacht, Hybris und Verführung vorlegen würde? „Krass“ ist ein Roman, der die Wiedergeburt des Autors feiert. Und ja, es ist eine Freude, von einem unumschränkt waltenden Erzähler wieder einmal spielerisch-lässig, aber dennoch bestimmt an die Hand genommen zu werden.
Vor allem der erste Satz des sinfonisch strukturierten Buches stellt einen Höhepunkt im bisherigen Schaffen des Büchner-Preisträgers dar. Mit der titelgebenden Figur des Ralph Krass, der sowohl etwas vom abstoßend-unwiderstehlichen Schwarzkünstler Oliver Haddo in William Somerset Maughams frühem parapsychologischem Opus „Der Magier“ hat, als auch dunkel an den Zauberer Cipolla in Thomas Manns Reisenovelle „Mario und der Zauberer“ erinnert, entwirft Mosebach in aller Tiefenschärfe und künstlerischen Überspitzung das Psychogramm eines allgewaltigen Potentaten, der durch nachdrückliches Schweigen verführt, durch überbordende Großzügigkeit unterwirft und durch seine schiere „raumgreifende Körperlichkeit“ ein Fluidum der Begehrlichkeiten um sich herum erzeugt, das nahezu jeden Einzelnen seiner liebedienerischen Entourage zum willfährigen Werkzeug seiner eigenen Selbstvergottungsfantasien macht.
Nach der Lektüre dieses sprachgewaltigen Werks, das einem vom Autor dargebracht wird wie ein prächtiger Strauß am Wegesrand gepflückter Frühlingsblumen, fühlt man sich seltsam erschöpft und erquickt zugleich. Und es beschleicht einen die leise Angst, die Experimente der jüngeren Autorengeneration nicht mehr mit derselben Begeisterung aufnehmen zu können wie ehedem. Man ist in der Höhle des Ali Baba gewesen und muss nun in die Steinbrüche des postmodernen Erzählens zurück.