

Inszenierter Sex
Julia Kospach in FALTER 42/2023 vom 20.10.2023 (S. 38)
Ob sie wirklich für immer den Pornostempel tragen wolle, fragte einer ihrer Uniprofessoren Madita Oeming, als sie ihr Promotionsprojekt zu einem Porno-Thema plante. Sie verbaue sich ihre akademische Karriere, wurde sie mehr als einmal gewarnt, und auch von anderen Wissenschaftler*innen „mal belächelt, mal sexualisiert, mal beides“, wenn das Gespräch auf ihr Forschungsgebiet kam. Mit Shitstorms, Beschimpfungen und Drohungen hatte und hat die deutsche Kulturwissenschaftlerin, Feministin und Aktivistin, Jahrgang 1986, seither immer wieder zu tun. Denn wenig ist so emotional, moralisch und ideologisch aufgeladen und von Desinformation geprägt wie Diskussionen um Pornografie.
Das ist mit ein Grund, warum Madita Oeming ihr Buch „Porno. Eine unverschämte Analyse“ geschrieben hat, denn sie wolle „der momentan erneut aufflammenden gesellschaftlichen wie medialen Pornopanik“ etwas entgegensetzen, nämlich einen sachlich-analytischen Blick, Fachkenntnis und mehr Gelassenheit. „Ich werde Pornos weder heilig noch schuldig sprechen, sondern für Ambivalenz plädieren.“
Das Buch, das dabei herausgekommen ist, kann man nur dringend empfehlen; und zwar unabhängig davon, ob man selbst Pornos schaut oder nicht. Nicht nur ist „Porno“ glänzend geschrieben und argumentiert. Es fußt auch unübersehbar auf fundierten Recherchen, hat sich durchgängig der Genauigkeit verschrieben und fördert eine Vielzahl an hochinteressantem Material zur Geschichte der Pornografie als Spiegel gesellschaftlicher Diskurse rund um Sex und Körper, Gender und Feminismus, Rollenbilder und Sexismus, Sexualpädagogik und Sexfantasien zutage. Schnell wird sichtbar, dass das Wissen über Pornografie in dem Maß gering ist, in dem Pornokonsum weit verbreitet ist. Gespräche darüber sind, so sie stattfinden, geprägt von Ironie oder Scham sowie von jeder Menge Behauptungen; auch und gerade im politischen Kontext.
Nischenphänomen Porno? Bei weitem nicht. Aus verstohlenen Pornokinos sind Pornos erst in Form von VHS-Kassetten in Privaträumen und schließlich im Internet angekommen, wo sie jederzeit zugänglich sind und ihre Verbreitung kontinuierlich zunimmt, speziell auch die von Selfmade-Amateurpornos. In jeder Minute besuchen weltweit mehr als 100.000 Menschen die Pornoplattform pornhub.com. Knapp ein Drittel davon sind Frauen, Tendenz steigend. Das ist nur eine der unerwarteten Erkenntnisse aus Oemings Buch. Ebenso wie die, dass der mit Abstand meist gesuchte Pornobegriff auf pornhub „Lesbian“ ist.
Oeming, das ist offenkundig, geht es um bewussten Konsum, um Medienkompetenz, Deeskalation in der Debatte und ums Nachdenken über Pornos im Zusammenhang mit Genussfähigkeit. Besonders aber um Differenzierung: Dass das Gesetz in Deutschland etwa zwischen „weicher“ und „harter Pornografie“ unterscheide, wobei unter Letztere auch kinder- und jugendpornografische Inhalte fielen, hält Oeming für extrem problematisch. Denn das, was Kinderporno heißt, sei in Wahrheit Gewalt und Missbrauch. „Diese beiden fundamental verschiedenen Kategorien als Pole eines Spektrums zu behandeln, ist, als würden wir Vergewaltigung ‚harten Sex‘ nennen.“ Die Vermischung bagatellisiere Straf- und Gewalttaten, während sie „eine einvernehmliche Praxis unter Erwachsenen bzw. eine Form der erwachsenen Mediennutzung unnötig dämonisiert“. Pornos sind inszenierte Sexualität. Die österreichische Regierung hat diese Debatte aufgegriffen und in ihrem „Kinderschutzpaket“ den Begriff der „Pornographischen Darstellung Minderjähriger“ durch den Begriff „Kindesmissbrauchsmaterial“ ersetzt.
Ausführlich geht Oeming auch auf das Spannungsfeld Feminismus und Pornografie ein, erzählt von erstaunlichen ideologischen Schnittmengen zwischen Anti-Porn-Feministinnen und rechten, fundamentalchristlichen Kreisen und zeichnet die Entstehung feministischer Pornos als Gegenbewegung zum patriarchalen Mainstream-Porno mit seiner Fixierung auf Cumshots und den Male Gaze nach. Das wichtigste Kriterium für feministische Pornos sei aber „weniger auf dem Bildschirm als hinter der Kamera zu finden: dass sie fair produziert werden, dass Wert auf Consent, Hygiene und Sicherheit am Set gelegt wird, … dass Praktiken vor dem Dreh abgesprochen und vertraglich festgehalten werden“. Viel Aufmerksamkeit widmet sie auch der Frage, wie es mit der Forschungslage rund um die vieldiskutierte Gefahr aussieht, die für immer jüngere Jugendliche von Pornokonsum ausgehen könnte, und worum es sich beim medial sehr präsenten Phänomen der Pornosucht handelt.
Oeming behält angesichts der Vielschichtigkeit des Themas ihr Ziel im Auge. Denn Pornos sind ganz offenkundig here to stay. Daher fordert Oeming nicht nur Pornokompetenzförderung – die sie übrigens selbst in Form des „Pornoführerscheins“, eines Fortbildungsprogramms für soziale Berufe, anbietet (https://teach-love.de/pornofuehrerschein-mit-madita-oeming/ ) –, sondern eine „umfassende, lustfreundliche, queer-inklusive sexuelle Bildung“, damit speziell Jugendliche (aber nicht nur sie) Antworten auf ihre Fragen nicht mehr in Pornos suchen müssen. „Es kann nicht sein, dass Pornos als Unterhaltungsmedium den Bildungsauftrag übernehmen müssen, dem der Staat nicht gerecht wird“, argumentiert sie.
Kurzum: Mehr Aufklärung und Bildungsarbeit müssen her. Und mehr offene, unverschämte Beschäftigung mit eigenen sexuellen Sehnsüchten, Fantasien und Präferenzen. Im schlechtesten Fall, so Oeming, seien Pornos dabei „eine ungesunde Flucht aus schwierigen Gefühlen“, im besten Fall „ein befreiendes Unterhaltungsmedium, das uns bei der Selbstakzeptanz unterstützt, uns klarer mit unseren Partner*innen kommunizieren und gemeinsam wie allein sexuell zufriedener sein lässt“.