

" Putin ist gut beraten, sich von der Klimabewegung bedroht zu fühlen"
Caroline Siraki in FALTER 7/2025 vom 14.02.2025 (S. 42)
Wer mit Luisa Neubauer sprechen will, braucht eine Stoppuhr und eine schnelle Zunge. Viel Zeit bleibt nicht für das Interview. Denn die Klimaaktivistin, Autorin, Sprecherin und Lobbyistin ist schwer beschäftigt: etwa wenn sie wie jetzt mit ihrem neuen, fünften Buch (siehe Marginalie Seite 44) auf Tour ist, Hallen von Köln bis Wien füllt; oder wie Anfang des Jahres gegen den Rechtsruck in Deutschland protestiert, sich bei Aktionen auch einmal von der Polizei wegtragen lässt; oder wenn sie als Lobbyistin bei Politikern für strengeren Klimaschutz wirbt.
Die vergangenen Jahre haben nicht nur die 28-Jährige verändert, sondern auch die Welt: vorbei die Zeiten, als sie als deutsches Gesicht der Fridays-for-Future-Bewegung Zehntausende regelmäßig auf die Straßen brachte. Vorbei die Jahre, in denen deutsche Kanzlerkandidaten im Wahlkampf mit Klimaversprechen punkten wollten. Das Wahlvolk, so scheint es, interessiert sich kaum mehr für Klimathemen. Doch warum eigentlich?
Falter: Frau Neubauer, in Berlin und Umgebung wurden vergangene Woche Auspuffrohre von Autos mit Bauschaum verklebt und dann ein Foto von Robert Habeck unter die Scheibenwischer geklemmt. Nun stellt sich heraus, dass das eine russische Sabotageaktion war, um die Klimabewegung zu diskreditieren. Was stört die Russen an der Klimabewegung? Luisa Neubauer: Es ist kein Wunder, dass sich die Demokratiefeinde an der Klimabewegung abarbeiten, denn echter und gerechter und gelebter Klimaschutz macht ihnen eine Kampfansage. Die Oligarchen und Rechtsradikalen, die Putin-Freunde sind gut beraten, sich von einer selbstbewussten und erfolgreichen Klimabewegung bedroht zu fühlen.
Warum? Neubauer: Weil wir für unabhängige, nachhaltige Energie kämpfen, die uns von Putins Launen unabhängig und somit demokratischer macht.
Was, glauben Sie, war das Ziel aus russischer Sicht?
Neubauer: Wer setzt sich im deutschen Wahlkampf für mehr Kohle, Öl und Gas ein? Das ist die AfD, das sind die Demokratiefeinde, die Rechtsradikalen und die Faschisten. Diejenigen, die sich wieder abhängig machen wollen von fossilen Autokraten. Und die Einzigen, die deutlich sagen, auf keinen Fall machen wir uns langfristig abhängig von allen fossilen Energieträgern, sind -ehrlicherweise - die Grünen. Dass Russland Interesse daran hat, die Leute gegen diese Partei aufzuhetzen und Menschen durch diese Polemik in die Arme der AfD zu treiben, ist logisch und perfide zugleich.
Dennoch: Viele Aktionen etwa der Letzten Generation haben die Menschen verärgert. Jetzt haben sie damit aufgehört. Wie bewerten Sie das?
Neubauer: Ich finde es müßig, über den Erfolg und Misserfolg anderer Bewegungen zu sprechen. Es spricht für sich selbst, dass die Letzte Generation ihre Aktionen eingestellt oder abgeändert hat. Die letzten Jahre haben wir zu viel darüber gesprochen, wie man jetzt Klimaaktion A, B oder C findet, statt sich ernsthaft damit zu beschäftigen: Was kann man selbst machen? Dreimal lieber erlebe ich jemanden, der probiert, irgendetwas zu machen, auch wenn es dann vielleicht nicht ganz aufgeht, als Menschen, die nörgelnd danebenstehen. Ich persönlich finde es wichtig, die Straßen mit Lebensfreude und Mut zu füllen.
Im deutschen Wahlkampf spielen Klimathemen kaum noch eine Rolle. Woran liegt das?
Neubauer: Erst einmal an den Parteien, die das Verantwortungsloseste machen: Nachdem wir gerade wieder einmal das heißeste jemals gemessene Jahr erlebt haben, weigern sie sich, genau hinzugucken, was dieses Land eigentlich bedroht und was die zukünftigen Herausforderungen sein werden. Ist es für erwachsene Männer und Frauen zu viel verlangt, sich mit den banalsten Erkenntnissen der Klimawissenschaft zu beschäftigen? Wäre das nicht alles so dramatisch, wäre es nur noch peinlich. Zum Glück lassen sich viele davon nicht abschrecken, sondern gehen auf die Straße. Sie kämpfen dort für unsere Demokratie, gegen die Rechtsradikalen, aber auch zunehmend für den Schutz der Lebensgrundlagen. Wir rufen am 14. Februar zu großen Klimaprotesten vor der Bundestagswahl auf.
Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung zieht da mit - hat die Klimabewegung auch Fehler in ihrer Kommunikation gemacht?
Neubauer: Ja, natürlich. Wir sind alle Menschen. Wir machen den ganzen Tag Fehler. Aber das kann für Politiker, die die größte Industrienation anführen wollen, keine Ausrede sein, die größte Existenzkrise unserer Zeit zu ignorieren. Als wären wir nicht im Bundestagswahlkampf, sondern in der Klassensprecherwahl für die erste Klasse. Es ist schon absurd genug, dass es eine Klimabewegung braucht, um bestehende Regierungsziele einzumahnen.
Anstatt die Ursachen für den Klimawandel zu bekämpfen, wird also lieber der Klimabewegung die Schuld zugeschrieben?
Neubauer: Ich finde es bedrohlich. Die großen Institute der Welt -das Weltwirtschaftsforum, die großen Thinktanks, die großen Versicherer -sagen alle: Klima ist nicht alles, aber ohne Klima ist vieles nichts. Wenn wir es nicht schaffen, die Klimakrise einzudämmen, dann werden wir wirtschaftliche Schäden und immense Schulden tragen müssen. Wir werden Fluchtursachen schaffen, die Migrationswellen auslösen, die man überhaupt nicht mehr überblicken kann. Das ist nirgendwo einkalkuliert.
Selbst Hochwasser und Waldbrände vor der eigenen Haustür führen nicht zwingend dazu, dass die Menschen mehr Klimaschutz wählen. Woran liegt das, und was muss passieren?
Neubauer: Ich glaube, das löst sehr viel aus bei den Leuten. Katastrophen werden aber in gewisser Weise "politisch kuratiert". Sie werden wie ein außergewöhnlicher Notfall besprochen oder als Normalität, mit der wir einfach zu leben haben. Das bestimmt, wie wirkmächtig diese Katastrophen dann sind. Was erleben wir denn heute? Es gibt eine große Katastrophe, und ein Politiker stellt sich ganz überrascht in Gummistiefeln ins Hochwasser und sagt: "Huch, damit hätten wir gar nicht rechnen können!" Sie leisten dann den Betroffenen Beistand, um im Wahlkampf wieder gegen den Klimaschutz zu hetzen. Das ist verlogen, und das raubt den Katastrophen diese Kraft, die sie eigentlich auch haben, um politischen Wandel zu inspirieren.
Sie kritisieren immer wieder auch die Rolle der Medien. Was fehlt Ihnen in der Klimaberichterstattung?
Neubauer: Ich würde sagen: alles. Klima darf von den Medien nicht wie so ein lustiges Hobby behandelt werden. Fragt man zum Beispiel "Welcher Politiker macht Klimaschutz und welcher nicht?", klingt das so wie die Frage, wer Pilates macht und wer nicht. Es gibt nicht mehr oder weniger Klimaschutz, es gibt nur mehr Klimakrise oder mehr Klimaschutz. Nichthandeln hat dramatische Folgen, das muss benannt werden. Wenn jemand also sagt: "Wir machen Klima in unserem Wahlkampf nicht zu einer Priorität", müsste die journalistische Anschlussfrage sein: "Sie machen also die Klimakrise zu Ihrer Priorität?!"
In Ihrem Buch schreiben Sie von einem Gespräch mit einem Forscher des Weltklimarats, der vorgeschlagen hat, keine Berichte mehr über den Status quo des Klimawandels herauszugeben. Haben die Fakten versagt? Neubauer: Nein, aber wir müssen anhand der Fakten auch die "guten Geschichten" erzählen.
Welche wären das?
Neubauer: Zum Beispiel, dass sich Menschen von fossilen Autokraten befreien können; dass sich Eltern nicht mehr darum sorgen müssen, ob ihr Kind morgens sicher durch den Straßenverkehr kommt, eben weil es dort viel weniger Autos gibt. Oder der Moment, wo sich junge Menschen auf die Zukunft freuen können, statt vor ihr Angst zu haben; wo ältere Menschen sich nicht mehr vor der nächsten Hitzewelle fürchten müssen, sondern im Garten bei den Blumen sitzen. Diese Momente - manche klein im Alltag, viele mit großer gesellschaftlicher Wirkung - müssen wir transportieren.
Der renommierte Klimaforscher James Hansen sagt, dass nicht nur das 1,5-Grad-Limit, sondern auch zwei Grad eine Illusion sind. Halten Sie diese Art der Kommunikation für sinnvoll?
Neubauer: Die Frage ist für mich: Sprechen solche Zahlen wirklich für sich? Ich glaube, sie brauchen eine Übersetzung. Ich habe gerade die Feuer von Los Angeles und die gestapelten Autos von den Fluten in Valencia Ende Oktober im Kopf. Das sind die Bilder, über die wir sprechen müssen. Das ist die um 1,2 Grad heißere Welt. Der aktuelle Stand, der für so viele Menschen schon heute unerträglich und unsicher geworden ist. Das bedeutet: Jedes Zehntelgrad, das wir vermeiden können, müssen wir vermeiden. Die Fakten geben uns den Rückenwind und bestätigen, was wir sagen. Aber darüber hinaus ist es ebenso wichtig, über Gefühle, Träume, Sehnsüchte und Macht zu sprechen.
Sehen Sie sich selbst als Geschichtenerzählerin? Oder was wäre eine akkurate Berufsbezeichnung für Sie?
Neubauer: Ich bin da flexibel. Ich bin Aktivistin an einem Tag, am nächsten Tag Publizistin, dann Studentin, und am nächsten Tag bin ich Geschichtenerzählerin. Ich bin eine Tochter, die sich um die Zukunft sorgt. Aber ich bin auch eine Aktivistin, die für die Zukunft kämpft. Ich bin eine Frau, die sich viel anhören muss in der Öffentlichkeit. Aber ich bin auch Teil einer großen Gemeinschaft, die der Öffentlichkeit manchmal den Weg zeigen kann. Ich empfinde das als befreiend.
Ich habe vor diesem Interview Ihren Namen gegoogelt. Als erstes Ergebnis kommt eine gesponserte Nachricht der rechten Onlineplattform Exxpress: "Shitstorm gegen Luisa Neubauer." Wieso sind Sie für manche so eine Hassfigur?
Neubauer: Ehrlicherweise und ohne falsche Bescheidenheit: weil ich erfolgreich bin mit dem, was ich mache. Sonst müsste man mich, glaube ich, nicht so bekämpfen. Das ist natürlich keine bescheidene Analyse, aber wenn diese Leute meinen, man muss gesponserte Nachrichten gegen mich zeigen, dann sind wir mit der Klimabewegung ganz schön weit gekommen.
Ihre österreichische Kollegin Lena Schilling sitzt mittlerweile für die Grünen im EU-Parlament. Wieso wollten Sie eigentlich nie in die Politik? Neubauer: Wer sagt, dass ich nicht in die Politik will?
Wollen Sie?
Neubauer: Vor fünf Jahren wusste ich nicht, dass ich hier sitzen würde. Wer weiß, was in fünf Jahren ist? Es gibt gerade einen gravierenden Vertrauensverlust in Bezug auf die Politik. Deswegen ist es so entscheidend, dass wir in der Zivilgesellschaft unsere Stimmen bündeln und Vertrauen schaffen. Da kann ich gerade gute und wichtige Arbeit leisten. Und so lange mache ich das auch. Sollte ich irgendwann denken, mein Platz ist woanders, dann werde ich ihn suchen.
Was, glauben Sie, ist das Erfolgreiche an Ihrem Ansatz?
Neubauer: Ich halte nichts von der Idee, dass ein Held herangeflogen kommt, der uns alles abnimmt. Vielmehr sind es ganz normale Leute, die alle ein bisschen was tun. Und ich kann meinen kleinen Teil leisten. Das Mächtigste, was wir gegen Rechtsradikale und Klimazerstörer und gegen den Hass in der Hand haben, ist ja unsere radikale Zuversicht und die Liebe für die Welt. Und das Wissen, dass Aktivismus wirkt.
Sie schreiben, dass Sie den Hoffnungsbegriff früher kitschig fanden. Jetzt haben Sie -so fühlt es sich nach der Lektüre zumindest an -Ihre Meinung geändert. Für wen haben Sie das Buch eigentlich geschrieben? Neubauer: Für die vielen Menschen, die sich gerade fragen, wo das alles hinführt, und die mit dem Mut in der Welt hadern. Und vielleicht auch für Menschen, die bis gestern dachten, das mit dem Klimawandel geht mich nichts an.
Gibt es denn Hoffnungsträger, die konsequent genug handeln?
Neubauer: Es sind sehr, sehr viele. Ich sehe sie überall. Kürzlich stand neben mir bei einer Demo eine Frau mit Kinderwagen. Ich fand es schon stressig, rechtzeitig hinzukommen, und die Frau hatte kleine Zwillinge. Ich kann mir nicht vorstellen, was für ein Aufwand es sein muss, mit Zwillingen da zu sein. Die Frau sagte, sie wolle ihre Kinder in einer sicheren Welt aufwachsen sehen. Ich war so tief beeindruckt, dass ich mir dachte, mein Stress kann nicht so schlimm sein. Solche Menschen sehe ich überall.