Morphin

592 Seiten, Taschenbuch
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ISBN 9783499238253
Erscheinungsdatum 25.09.2015
Genre Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Verlag ROWOHLT Taschenbuch
Übersetzung Olaf Kühl
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Rowohlt Verlag GmbH
Kirchenallee 19 | DE-20099 Hamburg
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Kurzbeschreibung des Verlags




Morphin – Ein packender Roman über Widerstand, Verrat und die Suche nach Identität im besetzten Warschau.


Warschau, 1939: Leutnant Konstanty Willemann, ein Mann zerrissen zwischen seinem früheren Leben als Lebemann und der Sorge um seine Familie, streift durch die zerbombte Stadt. Die deutsche Besatzung erstickt jede Freiheit. Doch dann schließt sich Konstanty, selbst halb Deutscher, dem polnischen Widerstand an. Gut getarnt und perfekt Deutsch sprechend, wagt er immer riskantere Aktionen – und entdeckt erschreckende Seiten an sich selbst.


Eine konspirative Reise mit der undurchschaubaren Adeligen Dzidzia führt ihn durch verwüstete Landschaften in das noch unversehrte Budapest. Für Konstanty wird die Fahrt zur Prüfung, ob er sich dem drohenden Untergang noch entziehen kann.


Szczepan Twardochs Roman Morphin zeichnet ein gewaltiges Panorama des besetzten Polens und seiner Menschen, die ums Überleben kämpfen. Eine fesselnde Geschichte über Widerstand, Verrat und die Suche nach der eigenen Identität in dunkelsten Zeiten.


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ISBN 9783499238253
Erscheinungsdatum 25.09.2015
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FALTER-Rezension

Ich hinter der Maske

Stefanie Panzenböck in FALTER 35/2019 vom 28.08.2019 (S. 32)

Mit einem Roman über den Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde der Autor Szczepan Twardoch zu einem der wichtigsten Schriftsteller Polens

Als der Schriftsteller Szczepan Twardoch 2012 seinen Roman „Morfina“ in Polen veröffentlichte, stellte er sich selbst ein Ultimatum. Entweder würde das Buch ein Erfolg, oder er werde sich einen anderen Job suchen. „Es war nie mein Ziel, ein hungernder Künstler zu sein“, sagt Twardoch in einem Café in Katowice, der Hauptstadt Schlesiens im Südwesten Polens.

Der 39-Jährige ist heute in Polen ein Literaturstar. Die Geschichte über den drogen- und vergnügungssüchtigen Reserveoffizier Konstanty Willemann, der nach dem Angriff Deutschlands am 1. September 1939 und der darauffolgenden Kapitulation Polens durch Warschau irrt, wurde ein Bestseller und zwei Jahre später übersetzt. In deutschen Medien wird seitdem über jedes neue Buch von Twardoch berichtet. „Mit Szczepan Twardoch ist Polen zurück auf der Bühne der Weltliteratur“, konstatiert etwa die Welt. In Österreich ist der Autor nahezu unbekannt.

Im Roman „Drach“ (2016) geht es um die Geschichte einer schlesischen Familie über mehrere Generationen, in „Der Boxer“ (2018) um die Warschauer Unterwelt in der Zwischenkriegszeit. Auf Polnisch gibt es schon den zweiten Band, nächstes Jahr kommt die Geschichte als Serie ins Fernsehen. Twardochs aktuell auf Deutsch erschienenes Buch heißt „Wale und Nachtfalter“ (2019) und ist eine Art Tagebuch, in dem der Autor etwa von Reisen oder der Geburt seiner Söhne erzählt. Ganz im Gegensatz zu den heftigen, rauschhaften Romanen wirkt es zurückhaltend und ruhig.

„Sie wollen über den Zweiten Weltkrieg sprechen“, fragt Twardoch zu Beginn des Gesprächs und fügt gleich an: „Ich kann Ihnen keine polnische Perspektive bieten.“ Das ist keine floskelhafte Entschuldigung, sondern eine politische Ansage. Twardoch wurde in Pilchowice, einem Dorf in Schlesien, geboren und lebt mit seiner Familie nach wie vor dort. Der Südwesten Polens hat eine äußerst wechselhafte Geschichte. Schlesien war immer Grenzland, war Zankapfel zwischen Polen und dem Königreich Böhmen, war Teil des Habsburgerreichs und wurde von Preußen erobert. 1921 kam ein kleiner Teil, die Region um Katowice, zum wieder entstandenen Polen, der Großteil blieb bei Deutschland. 1945 wurde ganz Schlesien Polen zugeschlagen.

Sich in der Öffentlichkeit als Schlesier zu deklarieren ist für Twardoch essenziell. Im gegenwärtigen Polen sei kein Platz, nicht polnisch zu sein. Auch die schlesische Sprache sterbe deshalb aus, eine slawische Sprache, ähnlich dem Tschechischen mit alter polnischer Grammatik und vielen deutschen Wörtern. „Ich sehe mich nicht als Pole. Ich spreche polnisch, ich schreibe auf Polnisch, ich bin ein polnischer Schriftsteller, aber ich bin kein Pole.“ Nachsatz: „Wenn Polen ein normaler demokratischer Staat wäre und seine Minderheiten ordentlich behandeln würde, wäre es vielleicht nicht so wichtig für mich, Schlesier zu sein.“

Twardoch ist ein Außenseiter, doch seine Stimme wird in Polen gehört. Er präsentiert sich als Dandy, die Fotos, die man von ihm findet, sind perfekt inszeniert; sein Auftreten ist makellos und er spricht in schönem Englisch. Ein falsches Wort, und er korrigiert sich. Dies alles suggeriert eine gewisse Abgeklärtheit, vielleicht sogar Glätte. Doch während des Interviews offenbart sich ein interessiert-freundlicher Gesprächspartner, der sich um ehrliche Antworten auf Fragen der Identität, der Geschichte und zu den wichtigen Dingen im Leben bemüht.

Wenn Twardoch über den Zweiten Weltkrieg spricht, dann will er damit auch aufzeigen, dass die normierte Erzählweise der polnischen Regierung nicht stimmt: Polen waren nicht ausschließlich Helden und Widerstandskämpfer, die sich in keiner Weise schuldig gemacht haben. Einerseits weil historisch belegt ist, dass auch Polen antisemitische Verbrechen begangen haben, andererseits weil die Kriegserfahrungen ganz unterschiedlich waren. Twardoch spricht dabei die Geschichte seines Großvaters an, der mittlerweile 100 Jahre alt ist. Er kämpfte als Schlesier in der Wehrmacht, aber nicht, weil er das wollte, sondern weil er eingezogen wurde. Er war zweisprachig und entschied sich, nach 1945 in Polen zu bleiben. Solche Biografien würden im gegenwärtigen Polen weder berücksichtigt noch verstanden, sagt Twardoch.

Diesen Strom von Identitäten, der einen Menschen mitreißen kann, beschreibt Twardoch im Roman „Morphin“. Der Reserveoffizier Konstanty Willemann erwacht aus seinem Rausch. Polen hat kapituliert, Warschau ist zerstört. Willemann hat nur eine Dosis Morphium im Sinn, die er einem befreundeten Arzt abpressen will, obwohl der das Mittel für die Verwundeten braucht. Willemanns Vater ist Offizier der Wehrmacht, seine Mutter eine fanatische polnische Patriotin, die sich gleich nach der Kapitulation den Deutschen andient. Seine Frau will, dass er für Polen kämpft, wenn es sein muss bis zum Heldentod – zumindest unterstellt er ihr das und hasst sie dafür. Und im Grunde zieht es ihn einfach nur zu Sala, einer jüdischen Prostituierten, bei der er alles vergessen will. Gegen seinen Willen landet er im polnischen Untergrund. Er soll, weil er perfekt Deutsch spricht, eine deutsche Uniform anziehen und als Spion arbeiten.

Die vermeintlichen Gewissheiten der Geschichte fallen in sich zusammen, Klischees verblassen. Willemann ist weder ein Held noch ein guter Mensch. Er taumelt. Durch die Straßen, aber auch zwischen den Identitäten.

„Wer bist du?“, lautet die Frage, die sich durch den Roman zieht. Die Antworten variieren. „Ich bin Konstanty Willemann, und meine Mutter ist kein Mensch“, lautet sie einmal. „Ich bin Konstanty Willemann, und ich bin der Sohn einer Teufelin. Ich bin der Sohn des Teufels, mein Vater hat einen Teufel gezeugt, aus Teufelsschoß bin ich geboren, und mein Vater hat sein Glied verloren, damit er keinen anderen mehr zeugen kann.“ An anderer Stelle: „Ich bin Konstanty Willemann, ich mag Frauen, ich tanze gern und mag keine Pferde, ich bevorzuge Autos, mag schottischen Tweed und Sommeranzüge aus dünnem Tropical.“ Oder: „Ich bin Konstanty Willemann, und mir ist scheißegal, ob ich Deutscher oder Pole bin, denn es gibt Wichtigeres auf der Welt.“

Die wenigen Monate nach dem 1. September 1939 erschienen Twardoch ideal für einen Roman. „Es ist eine Übergangszeit, eine Zeit ohne spezifische Form. Alles löst sich auf.“ Was wird mit Polen passieren? Der polnische Staat hat 122 Jahre nicht existiert und sich 1918 wieder formiert – wird er nun wieder von der Landkarte verschwinden? „In dieser konturlosen, aufgeweichten Zeit ohne gesellschaftliche Strukturen kann man menschliche Charaktere besser erkennen. Da haben Menschen die Möglichkeit, zu sein, wer sie wirklich sind. Weil sie aus allem herausgefallen sind. Vielleicht nicht im wirklichen Leben. Aber in der Literatur.“

Ob er noch weiß, wie in der Schule der Zweite Weltkrieg behandelt wurde? Nein, das sei zu lange her. Aber sein Großvater habe ihm immer gesagt: „Alles, was sie dir im Geschichtsunterricht beibringen, ist Blödsinn. Merk dir das.“ Als Twardoch in die Volksschule ging, herrschte noch Kalter Krieg und die kommunistische Partei war an der Macht. In Polen habe niemand an das System geglaubt, aber alle haben sich trotzdem an die Rituale gehalten. „Wir haben in der Aula die Oktoberrevolution gefeiert, und mir war klar, wie allen anderen auch, dass das Unsinn ist.“ Aber wahrscheinlich sei es wichtig gewesen, meint Twardoch. „Es macht etwas mit einem, wenn man als Kind Erwachsene Dinge sagen hört, die sie nicht meinen. Man versteht sehr früh, dass die menschliche Existenz kompliziert und sicher nicht schwarz-weiß ist.“

Twardoch hat in Polen die Rolle eines Intellektuellen eingenommen, der den gesellschaftlichen Diskurs prägt. Er ordnet sich im politischen Spektrum links ein, kritisiert die nationalkonservative Regierung unter der Führung der PiS von Jarosław Kaczyński vor allem für ihren dumpfen Patriotismus, der keinen Widerspruch duldet. Doch er versteht, warum die Partei Recht und Gerechtigkeit gewählt wird. „Weil sie sich um Sozialpolitik kümmert und zum Beispiel das Kindergeld erhöht hat. Hätten frühere Regierungen das schon getan, wäre uns vielleicht die aktuelle erspart geblieben.“

So perfekt sein Auftreten ist, so wenig ist Twardoch bereit, irgendwelche Erwartungen in seine Rolle zu erfüllen. „Als Intellektueller in Polen solltest du bescheiden sein, dich für das Gemeinwohl engagieren und dich ausschließlich dem widmen. Ich mache das nicht.“ Twardoch mag teure Autos und Kickboxen, er machte Werbung für Mercedes und eine Bank. „Aus dem einzigen Grund, weil sie mich gut bezahlen. Und ich werde es wieder tun. Ich schäme mich nicht dafür, dass ich gern viel Geld verdiene.“

Als Kind wollte er noch Forstarbeiter wie sein Vater werden, später eine Karriere an der Uni machen. Aber da war keine Stelle frei. Das Schreiben, das er als Hobby betrieben hat, wurde immer wichtiger. Die ersten Bücher kaufte allerdings kaum jemand. Dann kam „Morphin“.

Und wer ist eigentlich Szczepan Twardoch, wenn er nach dem Muster seines Protagonisten Konstanty Willemann antworten müsste? „Ich bin Szczepan Twardoch und ich bin Schriftsteller.“ Danach würde er sagen: „Ich bin Schlesier, ich bin Vater. Ich mag Wein, ich mag Reisen und Segeln. Aber das Ausschlaggebende ist, dass ich ich bin.“

Ein Mensch mit einem Beruf, der ihn zu dem macht, was er ist. „Erst danach bin ich eine Person, was nichts anderes als ,Maske‘ bedeutet, eine Rolle, die man spielt. Das Wichtigste im Leben ist es zu sagen: ,Ich bin nicht meine Maske.‘“

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