

Die große Verkrempelung
Gerlinde Pölsler in FALTER 20/2025 vom 14.05.2025 (S. 14)
Wo sind die Knöpfe hin?? Gabriel Yoran steht vor dem Kochfeld seines neuen Herds und kennt sich nicht aus. "0 1 3 5 8 10 14 A" steht da. Bitte was? Und warum muss er jetzt auf einem widerspenstigen Touchscreen herumtappen, anstatt einfach einen Knopf zu drehen? Die Dinge sollten doch besser werden statt schlechter, denkt der Autor. Und fragt sich: Warum gibt es so viel Krempel?
"Die Verkrempelung der Welt. Zum Stand der Dinge (des Alltags)" heißt Yorans Buch. Der breit interessierte Deutsche gründete mit 18 seine erste Firma, eine Softwareschmiede. Später studierte er Wirtschaftskommunikation, promovierte in Philosophie und schrieb als Sohn zweier Orchestermusiker das Buch "Schleichwege zur Klassik". Die Konsumkritik überfiel ihn in letzter Zeit geradezu - aus Groll über um Aufmerksamkeit bettelnde Geräte und Waschmaschinen, die Schuberts "Forelle" spielen ("Das hat sich die deutsche Romantik nicht verdient"). Wie Yorans Vita nahelegt, bleibt es nicht bei Gemäkel: Schlechte Produktqualität führt ihn zu Kapitalismus-und Verteilungskritik, zu Tech-Milliardären und der Frage, welche Bedürfnisse noch legitim sind. Das alles hat er mit so viel Schwung und Witz gestrickt, dass es eine Freude ist.
Webfehler des Kapitalismus
Am Beispiel eines neuen Brauseschlauchs zeigt Yoran den "gigantischen Verkrempelungszusammenhang". Gegen den Schlauch ankämpfend findet er sich in der Dusche wieder. Das Geheimnis: Früher kamen die Schläuche mit "Drehwirbel", so konnten sie sich frei bewegen. Das galt als selbstverständlich, daher konnte man keine Werbung damit machen und zusätzliche Schläuche verkaufen -also wurden die Wirbel eingespart. Wen's stört, der kann sich ja das Premium-Produkt "TwistFree" kaufen. Gegen Aufpreis, versteht sich.
Auch andere Dinge hätten gelitten: Heutige Waschmaschinen verbrauchen zwar weniger Strom und Wasser, dafür gehen sie viel schneller kaputt als ihre Vorgängerinnen, wie das Deutsche Umweltbundesamt herausfand. Hier offenbare sich ein "Webfehler" des Kapitalismus: "Ein gutes Produkt für die Kundschaft kann ein schlechtes Produkt für den Produzenten sein." Ist die Kundschaft lang zufrieden, kauft sie nichts Neues. Alles schwierig für die Bürger, die neuerdings angehalten sind, mit ihrem Konsum nicht weniger als die Welt zu retten.
Wer sich jetzt bestätigt fühlt, immer der Geneppte zu sein, höre weiter: "Wenn ich mich morgens in der Dusche ( ) um mich selbst drehe, ist das ein guter Moment, sich an die eigene Nase zu fassen." Gehört Yoran doch zu den Millionen Menschen, die Geld in ETFs und damit in Unternehmen investiert haben. Und die erzielen Profit unter anderem ,indem sie ihm als Konsumenten "mit schlechter Ware und bizarren Preiserhöhungen in den Rücken fallen. () Der Verkrempelungszusammenhang ist ein stinkendes, rumpelndes Perpetuum mobile."
Die eine Lösung hat der Autor nicht. Weder will er zurück in die Vergangenheit, noch mahnt er, bei "Gute Dinge"-Händlern wie Manufactum zu kaufen: Dessen Katalogprosa "wimmelt nur so vor letzten sorbischen Muhmen, die dank des Versandhändlers wieder Bierdeckel handfilzen". Für die breite Masse ändere das nichts.
Um die geht es Yoran aber, und um faire(re) Verteilung. "Das Problem ist, dass Milliardäre aus Jux ins All fliegen, weil es auf Erden nichts mehr zu kaufen gibt, was sie nicht schon besäßen, während sie der Mittelschicht hinfälliges Zeug verkaufen." Yoran regt zum scharfen Blick an, auf den kleinen Krempel genauso wie aufs große Getriebe. Die Verkrempelung der Welt, hofft er, "ist ein spätes, aber vielleicht nicht zu spätes Signal, unsere Bedürfnisse zu hinterfragen".